Zeitbombe
antwortete der andere Polizist aus dem Wagen. »Thermenbesuch, Heimfahrt mit der Bahn, alles im grünen Bereich und so wie immer.«
»Ist er schon öfter mal ausgebüxt?«
»Nein«, schüttelte der Beifahrer den Kopf. »Das war das erste Mal.«
»Aber danke für die Warnung, Kollegen«, meinte Hain mit einer kurzen Geste zum Abschied. »Wir versuchen trotzdem mal unser Glück.«
»Was wollt ihr eigentlich von ihm?« Der Oberkommissar ging ein paar Schritte zurück.
»Eine Routinesache. Aber wenn man euch so zuhört, könnte man meinen, dass er mächtig Eindruck auf euch gemacht hat.«
»Wir wollen nur nicht, dass ihr Ärger kriegt, das ist alles.«
»Lasst mal. Da passen wir schon auf. Im wievielten Stock wohnt er denn?«
»Im fünften. Aber …«
Ein einzelner, strenger Blick des Oberkommissars würgte jedes weitere Wort des Mannes ab.
»Den ganzen Tag im Auto sitzen und blöd auf eine Tür starren, macht die Birne schon ein bisschen trocken«, bemerkte Hain, während er seinem Boss die verglaste Eingangstür zu dem riesigen Wohnblock aufhielt.
»Mag sein«, gab der zurück. »Aber tauschen wollte ich mit denen nun wirklich nicht.«
»Fahrstuhl oder Treppe?«, fragte Hain provokativ, als sie im Innern angekommen waren.
»Welches Stockwerk?«
»Fünftes.«
»Dann natürlich den Fahrstuhl. Oder willst du, dass wir da oben ankommen, als seien wir einen Marathon gelaufen?«
»Er scheint tatsächlich von seiner Fahrstuhlphobie geheilt zu sein«, gab der junge Oberkommissar mit gefalteten Händen und einem angedeuteten, dankbaren Blick Richtung Himmel zurück.
»Hör auf mit dem Quatsch und komm.«
›M. B.‹, stand in kleinen, selbst gemalten Buchstaben neben einer Tür im fünften Stock. Lenz beugte den Kopf nach vorn und legte das rechte Ohr dicht an das Türblatt.
»Da ist Musik«, erklärte er seinem Kollegen, nachdem er den Kopf wieder zurückgezogen hatte.
Hain machte es ihm nach und nickte.
»Eindeutig. Was aber noch lange nicht heißen muss, dass auch jemand zu Hause ist. Vielleicht beschallt er einfach nur seine Blumen.«
»Auch wieder wahr«, stimmte der Hauptkommissar ihm zu. »Glaube ich aber nicht.«
»Und was machen wir jetzt?«, wollte Hain wissen.
»Keine Ahnung. Wir könnten klingeln und ihn fragen, wo er zu den jeweiligen Tatzeiten der Morde an Schneider und Humpe gewesen ist.«
»Womit wir uns selbst den taktischen Vorteil seiner Arglosigkeit torpedieren würden. Er weiß ja bis jetzt nicht, dass er bei uns auf der Liste der Verdächtigen steht.«
Trotz des Einwandes seines Mitarbeiters streckte Lenz den Arm nach vorn und legte die Spitze des Zeigefingers auf die Klingel, drückte jedoch nicht durch.
»Na, was ist?«, knurrte Hain genervt. »Wenn du es so viel besser weißt als ich, dann mach es halt.«
Der Hauptkommissar sah seinen Kollegen einen Augenblick lang entschuldigend an und zog dann den Finger zurück.
»Du hast recht, wir sollten erst mehr wissen. Danach können wir ihm immer noch direkt auf die Füße treten. Komm, lass uns verschwinden.«
*
Nachdem Hain ihn im Präsidium abgesetzt hatte, fuhr Lenz mit seinem eigenen Auto zum Krankenhaus.
»Hallo«, wurde er von Maria begrüßt, die im verdunkelten Zimmer auf dem Bett lag. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, so weit schon. Und bei dir?«
»Ich kriege so langsam einen gehörigen Schiss, wenn ich an die letzte Nacht denke. Und ich darf nach Hause, weil ich den Ärzten versprochen habe, dass da jemand ist, der sich ganz liebevoll um mich kümmert, und dass ich die nächsten drei Tage wirklich nur im Bett bleibe.«
»Das ist ja klasse«, erwiderte Lenz begeistert. »Obwohl ich so saumüde bin, dass ich vermutlich noch vor dir eingeschlafen sein dürfte.«
»Das macht nichts, mein Lieber. Dann liege ich neben dir und bewache deinen Schlaf.«
»Und warum bekommst du auf einmal Angst, wenn du an letzte Nacht denkst?«, wollte der Kommissar wissen, während er die Utensilien, die er ihr am Morgen mitgebracht hatte, wieder zusammenkramte und in die Tasche steckte.
»Weil mir so langsam klar wird«, antwortete Maria, die zwischenzeitlich in ihre Klamotten geschlüpft war, »dass ich wirklich und ganz real überfallen und niedergeschlagen wurde. Bis vor ein paar Stunden war das zwar da, hatte aber irgendwie gar nichts mit mir zu tun. Das ist nun anders. Nun fange ich an zu zittern, wenn ich daran denke. Außerdem ist mir noch eingefallen, dass der Kerl, der mir aufgelauert hat, einen ganz üblen
Weitere Kostenlose Bücher