Zeiten des Verlangens
gleichen Satz gestarrt.
Draußen prasselte der Regen an die Scheiben. Es war eine kräftige Sommerdusche, die den Geruch nach feuchtem Asphalt in der warmen Luft hinterlassen würde. Regina zog den Vorhang auf und sah zu, wie das Wasser in Rinnsalen an der Fensterscheibe herunterlief.
Sie fragte sich, ob sie vorher im Vorstandssaal einen Fehler gemacht hatte. War sie zu feige gewesen? Vielleicht verdiente sie ja dieses kleine Leben. Noch vor ein paar Monaten hatte sie ihre Ernsthaftigkeit und Beherrschung wie einen Orden vor sich hergetragen. Und in Philadelphia hatte sie auch nie das Gefühl gehabt, etwas zu verpassen, wenn sie auf Nummer sicher ging. Sie hatte für ihr Studium gebüffelt, Gelegenheitsjobs angenommen und gespart. Sie hatte sich auch mit Jungs getroffen, sich aber nie zu sehr von ihnen ablenken oder vereinnahmen lassen. Alles war unter Kontrolle gewesen.
Doch seit ihrem Umzug nach New York erkannte sie, dass sie vor lauter Kontrolle über ihr Leben ganz verpasste, es auch zu leben. Und jetzt hatte sie es sich mit dem unglaublichsten Mann verscherzt, dem sie je begegnet war – oder je begegnen würde.
Dabei war noch nicht einmal ihre Mutter da und redete ihr ins Gewissen, wenn sie sich verabredete. Es war ganz allein ihre Schuld.
»Hast du Lust, einen Film anzusehen?«, erkundigte sich Carly vom Wohnzimmer aus. Carly, die sich noch nicht von der Trennung von ihrem »Freund« Rob erholt hatte, war ungewöhnlicherweise allein zu Hause.
»Gerne«, antwortete Regina. Sie konnte sich heute ohnehin nicht auf ihr Buch konzentrieren.
Also hüpfte sie aus dem Bett, legte den Roman aufs Nachttischchen und ging ins Wohnzimmer.
Carly hatte sich auf dem Sofa zusammengerollt, in ihrer üblichen Uniform aus schwarzer Yoga-Hose und Tanktop. Sie zielte mit der Fernbedienung auf den Fernseher und scrollte durch die Liste der verfügbaren Filme.
»Kann ich dich etwas fragen?«, meinte Regina.
»Sicher«, murmelte Carly abwesend.
»Du hast gestern angedeutet, dass es mit Rob vielleicht schiefgegangen ist, weil du falsch entschieden – oder gehandelt hast.«
Carly zuckte die Schultern. »Gestern Abend war ich nicht ganz bei Sinnen. Schließlich ist es sein Problem, wenn er sich nicht binden kann. Wir Frauen suchen die Schuld immer bei uns. Dabei liegen die Probleme eigentlich bei den Männern.«
»Okay, vergiss es.« Regina sagte nichts, aber insgeheim dachte sie, dass Carly mit ihrem Verhalten auch nicht immer Bindungsfreude signalisiert hatte. »Nehmen wir mal an, es wäre irgendwie deine Schuld gewesen. Würdest du versuchen, es wiedergutzumachen, oder würdest du die ganze Sache abschreiben, nach dem Motto ›es sollte wohl nicht sein‹?«
»Erst einmal: Es gibt kein ›es soll sein oder nicht sein‹, sondern nur ein ›anpacken und machen‹. Hilft dir das weiter?«
Regina nickte. Vielleicht verlor sie den Verstand, aber Carly hörte sich plötzlich ganz vernünftig an. Nahezu – was für ein Gedanke – weise.
Es klingelte.
»Kommt Derek noch vorbei?«, wunderte sich Regina.
Carly sah sie an, als hätte sie erklärt, der Weihnachtsmann stünde vor der Tür. »Ich hab dir doch gesagt, dass Derek nur ein Lückenbüßer war, bis ich Rob habe. Wenn ich keinen Rob bekomme, brauche ich auch keinen Derek.«
Das verstand Regina nun überhaupt nicht. Carly rappelte sich vom Sofa hoch und drückte den Knopf der Gegensprechanlage.
»Wer ist da?«
»Sebastian Barnes.« Regina hörte seine Stimme durch das Rauschen und Knistern des Lautsprechers. »Bitte schick Regina runter.«
Carly sah sie mit großen Augen an und unterdrückte ein Lachen. Mit dem Mund formte sie die Worte »O mein Gott!«.
»Sag ihm, dass ich ein paar Minuten brauche«, flüsterte Regina. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie war schon in ihr Zimmer gerannt und hatte die Tür geschlossen, als sie hörte, wie Carly ihre Nachricht ausrichtete.
Wenn es im Leben wirklich darum ging, »anzupacken und zu machen«, wie Carly es nannte, dann war das hier ihre Chance. Ihre zweite Chance. Und vielleicht ihre letzte.
Wo zum Teufel waren die Dessous?
16
Sebastian warf seinen Schlüsselbund auf den Glastisch und nahm ihr den Schirm ab.
Trotz des heftigen Regens war Regina vollkommen trocken. Sebastian hatte seinen Wagen in einer Tiefgarage geparkt, von der aus man in sein Haus kam. Sie hatten den Aufzug zum obersten Stock genommen, und die Tür hatte sich direkt in ein weitläufiges Loft-Apartment geöffnet.
Die Fenster reichten vom Boden bis
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