Zeiten des Verlangens
es.
Regina holte tief Luft. »Ich bin ein paar Mal zu spät gekommen.«
Carly zuckte die Schultern. »Na und? Das kommt vor.«
»Und wie es aussieht, haben meine Chefin und Sebastian früher …« Sie ließ den Satz bedeutungsschwer in der Luft hängen.
» Nein «, flüsterte Carly und beugte sich mit großen Augen nach vorne.
»Doch.«
»Ich glaub’s einfach nicht! Weißt du, Regina, als du damals bei mir auf der Matte gestanden bist, wirktest du still, schüchtern und unschuldig. Und jetzt sieh dich an. Du trägst die schärfsten Klamotten, du schläfst mit einem der heißesten Kerle von New York, und du schlitterst von einer Tragödie in die nächste, wie niemand sonst in meinem Bekanntenkreis …«
»Aber verstehst du denn nicht, was ich sage? Ich wurde gefeuert. Ich bin arbeitslos. Ich versuche, nicht in Panik auszubrechen, aber ich bin allein wegen diesem Job nach New York gezogen und hangle mich von Gehaltszahlung zu Gehaltszahlung. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Zunächst mal: Entspann dich. Du findest einen neuen Job. Soll ich ein paar Leute anrufen?«
»Nein … ich weiß nicht. Ich will den Job, den ich hatte. Solange ich denken kann, wollte ich Bibliothekarin werden. Ich weiß, für deine Begriffe ist das nichts Besonderes, aber mir bedeutet es etwas.«
Carlys Gesicht wurde weich. »Okay, na gut – sag mir, wenn du meinst, dass ich etwas für dich tun kann. Aber solltest du dir Sorgen wegen der Miete machen – spar sie dir. Du weißt, dass ich das Geld nicht brauche. Ich brauche eine Mitbewohnerin, damit sich meine Eltern vormachen können, ich würde nicht in Scherereien geraten.«
Regina sah sie überrascht an. »Danke, Carly. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen Teil der Abmachung nicht erfüllt habe – dich vor Scherereien zu bewahren.«
Carly lachte. »Also das wäre ein Fulltimejob.«
»Ich meine es ernst – danke. Aber ich kann es nicht annehmen. Ich werde einen Job finden.«
»Was hat Sebastian gesagt?«
»Er weiß es noch gar nicht.«
»Warum nicht? Er könnte vermutlich etwas für dich arrangieren.«
Sie hatte es Sebastian nicht gesagt, weil sie nicht den Anschein erwecken wollte, dass sie gleich zu ihm rannte, wenn sie mal ein Problem hatte. Im Schlafzimmer störte es sie nicht, hilflos zu sein. Im wirklichen Leben war das etwas anderes.
Als könnte sie Gedanken lesen, sagte Carly: »Schau, ich verstehe, dass du nicht willst, dass er dich in einem Moment der Schwäche sieht. Und das ist auch nicht dumm. Aber du bedeutest diesem Kerl wirklich etwas. Das habe ich in der Nacht gesehen, als er nach eurem Streit hier aufgetaucht ist.«
Regina nickte. »Ja, ich weiß, dass ich ihm etwas bedeute. Eine Zeit lang war mir das nicht klar. Aber jetzt weiß ich es. Natürlich muss ich es ihm sagen, und das werde ich auch. Ich musste es nur erst einmal selber verdauen.« Sie blickte auf die Uhr. »Außerdem holt er mich in einer Stunde vor der Bibliothek ab. Ich kann es also nicht länger aufschieben.« Sie griff nach dem iPhone und wählte seine Nummer. Und wurde direkt mit seiner Mailbox verbunden.
»Er geht nicht dran. Dann muss ich ihn wohl dort abfangen. Ich warte einfach draußen bei den Löwen.«
»Den Löwen?«
»Ja, du weißt schon. Oder kennst du die großen Steinlöwen an der Treppe nicht?«
Carly schüttelte den Kopf. »Ich hab’s nicht mit Bibliotheken, Regina. Also, ich meine, wirklich gar nicht.«
❊ ❊ ❊
Trotz ihrem Vorsatz, sich bei den Löwen zu verstecken, bis sie Sebastians Auto sah, brachte sie die Subway um Viertel vor sechs zurück zur Bibliothek, und sie konnte nicht nur untätig herumstehen. Also beschloss sie, mit Margaret zu reden. Regina war aufgefallen, dass sie nicht einmal ihre Telefonnummer hatte. Und sie bezweifelte, dass Margaret eine E-Mail-Adresse besaß. Sie wusste nicht einmal, wann ihr letzter Arbeitstag war, und plötzlich fürchtete sie, sie könnte Margaret vielleicht nie wiedersehen. Sie wusste, dass es abwegig war, dennoch trieb sie dieser Gedanke die Treppe hoch – mit dem Risiko, Sloan zu begegnen – und in die Bibliothek.
Regina kämpfte gegen die Paranoia an, dass die Sicherheitsleute sie aufhalten und des Gebäudes verweisen würden. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass dies eine öffentliche Einrichtung war und man sie nicht verhaftet hatte – nur entlassen. Und der Sicherheitsmann, der ihr jeden Morgen zunickte, wusste es vermutlich nicht einmal.
Und tatsächlich winkte er ihr nur zu, als sie
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