Zeiten des Verlangens
durch das Foyer huschte und über die seitliche Treppe hoch in den dritten Stock lief.
Als sie an der Barnes Collection vorbeikam, wandte sie den Blick ab. Hätte Sloan entdeckt, welche Ausschweifung in diesem Raum stattgefunden hatte, wäre Regina schon vor Wochen geflogen.
Die Tür zum Archiv stand offen. Regina klopfte an den Rahmen, um Margaret nicht zu erschrecken. Als keine Antwort kam, ging sie hinein.
»Margaret?«, rief sie.
»Hier hinten.«
Regina entdeckte Margaret auf einer hohen Leiter, wo sie ein schweres Buch aus einem der oberen Fächer holte oder gerade zurückstellte.
»Seien Sie vorsichtig! Lassen Sie mich helfen«, sagte Regina und eilte zu ihr.
Margaret sah herunter. »Was machen Sie denn hier? Wie ich höre, hat man Sie praktisch hinauseskortiert«, sagte sie mit einem Lächeln.
Regina sah sie verdutzt an.
»Ich übertreibe natürlich«, meinte Margaret. »Aber Sie wissen ja, wie das mit Gerüchten so ist.« Langsam kletterte sie die Leiter herunter. »Ich hätte nie gedacht, dass mir das Erreichen meiner liebsten Regale einmal kaum mehr der Mühe wert erscheinen würde, weil es einfach zu anstrengend ist.« Schwer atmend klopfte sie sich die Hände am Kleid ab. »Also, was ist passiert, meine Liebe?«
»Es ist eine Katastrophe«, sagte Regina und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die in den letzten fünf Stunden immer wieder geflossen waren. »Ich war einen Tag nicht hier, und dann bin ich zu spät gekommen und … ich glaube, der wahre Grund ist, dass Sloan wegen Sebastian eifersüchtig ist.«
Margaret nickte. »Ich habe versucht, Sie zu warnen.«
»Ich weiß. Als Sie mir von der Kette erzählt haben.«
»Ich muss gestehen, ich hätte nicht gedacht, dass es so weit kommen würde.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Wenn Sie ein Empfehlungsschreiben brauchen, gebe ich Ihnen gerne eines. Sloan mag Ihre Vorgesetzte sein, aber ich bin lang genug hier, um auch ein paar Türen öffnen zu können. Vielleicht für eine unbezahlte Tätigkeit in einem Alphabetisierungskurs?«
»Ach Margaret. Sie waren so wundervoll.« Margaret legte einen Arm um sie, und Regina atmete ein paar Mal tief durch, um sich zu beruhigen. »Wann ist Ihr letzter Tag?«, fragte sie. »Ich hatte Angst, ich könnte Sie vielleicht nicht mehr erreichen.«
»Mein letzter Tag ist der Freitag, an dem die Young-Lions-Gala stattfindet. Aber wie kommen Sie darauf, dass Sie mich nicht mehr erreichen könnten? Sie finden mich doch jederzeit über Twitter.«
»Über Twitter?«
»Ja. Oder auf meinem neuen Buchbesprechungs-Blog.«
»Sie haben einen Buchbesprechungs-Blog initiiert?«
Margaret nickte und machte sich auf die Suche nach Stift und Zettel. Dann schrieb sie ihre Nummer auf und reichte sie Regina. »Wir sehen uns bald. Warten Sie, bis sich der Staub gelegt hat, bevor Sie entscheiden, was als Nächstes zu tun ist. Manchmal ist es am besten, einfach ein neues Kapitel aufzuschlagen.«
»Aber Sie haben fünfzig Jahre lang den gleichen Job gemacht.«
»Ja, und wenn sogar ich eine Veränderung verkrafte, dann schaffen Sie das auch.« Margarets blauen Augen strahlten. Sie drückte Reginas Hand.
»Mit Veränderungen komme ich zurecht, aber nicht mit Versagen.«
»Aber haben Sie denn versagt? Das wird sich erst noch zeigen. Wer weiß, wie Sie die Sache beurteilen, wenn Sie in ein, zwei oder fünf Jahren zurückblicken. Vielleicht ist es ja der Wendepunkt in Ihrem Leben.«
42
Sie sah den Mercedes, sobald sie aus der Bibliothek kam. Sebastian saß am Steuer.
Selbst aus der Entfernung spürte sie, wie seine Blicke auf ihr hafteten, während sie die breite Treppe hinunterlief. Als sie auf ihn zukam, stieg er aus und hielt ihr die Tür auf. Allein sein Anblick war tröstlich, und zum ersten Mal seit ihrem Rausschmiss ließ das unterschwellige Zittern nach.
Er umarmte sie kurz, bevor sie einstieg. Als er wieder hinter dem Steuer saß, sprudelte sie los: »Ich wollte dich vorher anrufen, aber ich wurde direkt mit der Mailbox verbunden.«
Er nickte und schwenkte den Wagen auf eine belebte Mittelspur ein. »Es tut mir leid – ich war den ganzen Tag mit den Bildern beschäftigt, die wir gestern Nacht gemacht haben. Ich wollte keine Ablenkung. Er löste kurz den Blick vom Verkehrstreiben und strahlte sie mit einem breiten Grinsen an.
»Wie sind sie geworden?«, fragte sie nervös.
»Ich fahre dich zu mir, dann kannst du sie dir selbst ansehen.«
Er war ganz aufgeregt, und das übertrug sich auf Regina.
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