Zeitenlos
auch ein Bad, aber keine Decken. Über eine weitere Treppe kam ich in einen Loft, der zum Hauptschlafzimmer führte. Dessen Rückwand mit ihren vielen Fenstern gab den Blick auf den dunklen Himmel frei. Ich fühlte mich hier fehl am Platz und ging geradewegs ins Badezimmer mit seiner traumhaften begehbaren Dusche und dem wunderschönen Marmorboden. Sofort wurde ich von dem Geruch nach ihm eingehüllt. Ich atmete diesen süßen Duft tief ein und lokalisierte als Quelle die rote Seife, die auf dem Waschbeckenrand lag. Um den sinnlichen Duft loszuwerden, schüttelte ich mich und versuchte meine Gedanken zu sammeln. Endlich fand ich den Wäscheschrank. An der Wand daneben fielen mir kleine Bedienungselemente auf, die sich bei näherem Hinsehen als Steuerung der Fußbodenheizung und der Deckenstrahler entpuppten. Das Badezimmer war mit allen Schikanen ausgestattet, was mich überhaupt nicht überraschte.
Mit einigen Decken auf dem Arm ging ich wieder nach unten. Wes hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Etwas ungeschickt öffnete ich den Reißverschluss seiner Jeans. Ich war selbst überrascht, wie gut ich mich unter Kontrolle hatte. Es musste sein, sagte ich mir, und zog absolut professionell die patschnassen Jeans herunter und ließ sie auf den Boden fallen. Seine nassen Boxershorts klebten am Körper, aber ich hütete mich, sie auch nur anzurühren.
Ich deckte ihn zu und rollte mich im nächsten Sessel zusammen. Etwa eine Stunde später wurde mir bewusst, wie erschöpft ich war. Ich brauchte dringend Schlaf, befand mich aber in seinem Haus.
Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es halb zehn war. Ich musste dringend entscheiden, was ich tun wollte. Bei dem Gedanken, die Nacht in seinem Haus zu verbringen, war mir überhaupt nicht wohl. Aber ihn alleine zu lassen, ohne zu wissen, ob er wieder auf die Beine kommen würde, bereitete mir noch mehr Bauchschmerzen.
An diesem Abend belog ich meine Mutter zum ersten Mal ganz bewusst. Ich rief sie an und erzählte, dass Dawn und ich nach der Arbeit so viel Spaß zusammen gehabt hatten, dass ich über Nacht bei ihr bleiben wollte. Ich war überrascht, wie schnell sie mir glaubte. Entweder war sie so glücklich darüber, dass ich endlich eine Freundin in der Stadt gefunden hatte oder sie war intensiv mit ihrem neuen Privatleben beschäftigt. Wie auch immer, ich war froh, dass es so einfach gewesen war.
Ich ließ Wes so lange allein, wie es dauerte, nach Hause zu fahren und frische Klamotten einzupacken. Es war eigenartig, mit meiner Reisetasche durch sein Haus zu gehen. Irgendwie unwirklich. Ich handelte wie ferngesteuert, es schien, als wären mir alle Entscheidungen aus der Hand genommen worden, zumindest die verstandesmäßigen. Es war extrem unvernünftig. Ich hatte meine Mutter angelogen und war drauf und dran, die Nacht mit einem Typen zu verbringen, den ich kaum kannte.
An diesem Abend sah ich noch einmal nach ihm, und er fühlte sich warm an. Der Kamin schien zu funktionieren, und ich beschloss, ihn die Nacht über brennen zu lassen. Oben warf ich einen Blick in alle Schlafzimmer, doch der Gedanke, in einem davon die Nacht zu verbringen, war mir unangenehm. Ich entschied mich fürs Arbeitszimmer, dessen Sofa mir irgendwie passender vorkam. Ich machte es mir gemütlich, ließ aber die Tür für den Fall offen, dass Wes in der Nacht aufwachte.
Natürlich konnte ich nicht einschlafen. Mir war schleierhaft, warum ich es überhaupt versuchte. Nach einer Stunde stand ich wieder auf, um nach ihm zu sehen. Er schlief noch, sah aber ziemlich erhitzt aus. Ich berührte ihn, und er war glühend heiß. Sofort machte ich den Kamin aus. Er war viel zu heiß, schwitzte aber komischerweise nicht.
Ich suchte in der Küche nach einem Thermometer, fand aber keins. Dann ging ich zurück nach oben und suchte im Badzimmer. Ich öffnete einige Schubladen und fand schließlich ein Digitalthermometer fürs Ohr. Ich rannte nach unten und setzte es an seinem Ohr an. Es piepste sehr schnell. Als ich auf das Display blickte, stand dort FEHLER . Ich versuchte es erneut, sah, wie es auf 40 Grad schnellte und dann wieder die Fehlermeldung kam.
Frustriert warf ich das Thermometer auf den Boden. Nach rund zwanzig Minuten Stille griff ich wieder danach und prüfte meine Temperatur. Die Skala zeigte knapp 37 Grad an. Das Thermometer funktionierte also einwandfrei.
Ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ziemlich grob hielt ich das Thermometer wieder an sein Ohr und schwor mir, einen
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