Zeitenlos
um und rannte los. Wes wurde immer blasser.
»Sophie.«
»Ich bin da, Wes. Ich bin da. Dir ist kalt, aber jemand holt deinen Mantel.«Ich wusste, dass er mehr brauchte als nur einen Mantel, aber ich war so besorgt, dass ich nicht klar denken konnte. Ein Mann bahnte sich einen Weg durch die Zuschauermenge. »Zieh sein Hemd aus«, rief er. Alarmiert, weil er so plötzlich heranstürzte, beugte ich mich schützend über Wes. »Er muss wieder warm werden. Du musst ihm die nassen Sachen ausziehen.«
Ich wollte nicht, dass jemand Wes anfasste, aber irgendetwas mussten wir natürlich unternehmen.
Ich machte Platz, und der Mann begann eilig damit, Wes den nassen Pullover auszuziehen. Sein Oberkörper war eiskalt und wurde langsam blau. Ich sah die geschockten Reaktionen der um uns versammelten Menge. In einem verzweifelten Versuch, ihn zu wärmen, bis Hilfe eintraf, schlang ich meine Arme um Wes. Ich zitterte wie Espenlaub, doch sein geschwächter Körper war vollkommen ruhig. In mir stieg Panik auf.
»Hier! Hier ist sein Mantel.« Das Mädchen war wieder da und warf mir sowohl seinen als auch meinen Mantel zu. Jemand half mir, Wes den Mantel überzuziehen. Er hatte ihn kaum an, da hörten wir die Sirenen näher kommen. Wes bewegte sich.
»Sophie?«
»Ja? Ich bin da.«
»Du musst mich nach Hause bringen.« Wes sah mich mit Augen an, die so glasig waren, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte. Er schlang die Arme um mich und zog mich so dicht an sich heran, dass seine kalten Lippen mein Ohr berührten. »Bitte, Sophie, du musst mich hier wegbringen. Ich kann nicht ins Krankenhaus. Ich kann nicht.«
Ich lehnte mich so weit zurück, dass er meine Lippen sehen konnte. »Wes, alles wird gut. Der Krankenwagen ist unterwegs. Die Sanitäter werden dir helfen.«
Er griff mein Gesicht mit beiden Händen. »Nein! Du verstehst nicht. Ich kann nicht ins Krankenhaus. Bitte! Vertrau mir. Ich komme wieder in Ordnung, aber du musst mich nach Hause bringen. Versprich mir das.«
»Wes …«
»Bitte!« Er sagte das mit so viel Nachdruck, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Ich hatte wohl keine andere Wahl, als ihn von hier wegzuschaffen, und versuchte ihn auf die Beine zu bekommen.
»Was machst du da?«, fragte ein Mann.
»Er will nach Hause.«
»Du kannst ihn nicht nach Hause bringen. Er muss ärztlich versorgt werden.«
»Ihm geht’s gut. Er friert einfach nur«, log ich.
»Sieh ihn dir doch an«, sagte jemand.
»Er möchte nach Hause, also bringe ich ihn nach Hause. Er sagt, ihm geht’s gut«, erwiderte ich scharf.
Ich war froh, dass Wes es schaffte aufzustehen, denn ich hatte irgendwie das Gefühl, dass uns keiner dabei helfen würde.
»Bist du dir sicher?«, fragten alle Umstehenden gleichzeitig.
»Er ist sich sicher. Seht lieber zu, dass sie Hilfe bekommt«, ordnete ich an und deutete auf das am Boden liegende Mädchen.
Ich führte Wes zum Wagen. Er hatte seinen Arm um mich gelegt und lehnte mit fast seinem ganzen Gewicht auf mir. Als der Krankenwagen vorbeifuhr, half ich ihm gerade auf den Beifahrersitz des Jeeps. Ich hob seine Beine ins Auto und merkte, dass seine Hose triefend nass war. »Bist du dir wirklich sicher?«, fragte ich ihn. Seine Augen rollten langsam nach hinten. Ich verlor die Fassung. »Wes? Ich kann das nicht machen. Ich habe keine Ahnung, was hier nicht stimmt. Bitte!«, sagte ich flehend.
Er sah mich wieder an und sagte mit schwacher Stimme: »Hilf mir, warm zu werden. Dann wird alles gut. Vertrau mir.«
Scheiße. Warum musste mir das passieren? Ich traute nichts und niemandem. Was tue ich hier bloß? Mir schauderte, als ich die Tür zuwarf und zur Fahrerseite rannte. Er war kaum noch ansprechbar. »Wes! Was soll ich tun? Du brauchst Hilfe, und ich kann dir nicht helfen. Ich habe keine Ahnung, was ich hier mache.« Ich bekam den Schlüssel kaum ins Zündschloss.
Er blickte mich mit Verzweiflung in den Augen an. »Sophie, ich erkläre dir alles später. Versprochen! Doch jetzt hör mir bitte zu. Meine Herzschlagfrequenz fällt und wird gleich so niedrig sein, dass du sie nicht mehr spürst. Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass alles gut wird. Ich muss nur warm werden. Lass bitte nicht zu, dass sie mich mitnehmen.«
Das war das Letzte, was er sagte, bevor er das Bewusstsein verlor.
Wes sah aus wie der Tod, er war blass und eiskalt. Ich wollte ihn auf direktem Weg in die Notaufnahme fahren und war wütend auf mich selbst, weil ich zögerte. Alles, was ich an diesem Abend gewollt hatte,
Weitere Kostenlose Bücher