Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
Sie etwas trinken?«, fragte ich, diesmal lauter. »Vielleicht eine Tasse Tee?«
»Nein, nein. Mir tut nichts weh.« Er behielt meine Hand in seiner und führte mich zum Sofa, wo er mir galant ein Kissen zurechtrückte und wartete, bis ich mich hingesetzt hatte, bevor er in einem der Sessel Platz nahm.
»Hörte von Iphy, dass Sie heute Abend die Vauxhall Gardens besuchen«, trompetete er. »Verfüge dort über einen sehr schönen Supper Room . Es wäre mir eine große Freude, Mylady heute Abend dort begrüßen zu dürfen. Den werten Herrn Bruder und Ihre besten Freunde natürlich auch.«
»Danke für die Einladung. Wir kommen gern.«
»Wie?«
»Wir kommen gern!«, rief ich.
George strahlte wie ein Honigkuchenpferd. »Wie wunderbar! Und jetzt müssen Sie mir von Westindien erzählen. Barbados, nicht wahr? Ich will alles über das Plantagenleben erfahren.«
Ach du Schande. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer vom Plantagenleben. Ich wusste nicht mal ganz genau, wo die Karibik war. Irgendwo rechts von Mittelamerika, jedenfalls auf dem Globus oben im Herrenzimmer, aber das war auch schon mehr oder weniger alles.
George sah mich erwartungsvoll an. Weil mir auf Anhieb keine gute Begründung einfiel, warum ich diese Unterhaltung leider unverzüglich abbrechen musste, fing ich einfach an zu improvisieren. Dabei trumpfte ich entsprechend auf, um die herausragende Bedeutung der Familie Foscary zu unterstreichen.
»Unsere Plantage Rainbow Falls ist eine der größten auf Barbados«, teilte ich dem Earl mit lauter Stimme mit. »Unsere Zuckerrohrfelder bedecken fast ein Viertel der ganzen Insel. Wir haben ungefähr tausend Sklaven, aber weil der Sklavenhandel ja inzwischen verboten ist, werden wir sie bald freilassen. Beziehungsweise sie als Arbeiter einstellen. Mit Lohnfortzahlung und Rentenansprüchen.« Ich stockte. Gerade hatte ich Lohnfortzahlung gesagt, und der Translator hatte es nicht umgewandelt.
»Lohnfortzahlung«, wiederholte ich, diesmal etwas lauter – und immer noch ohne Umwandlung. Was allerdings nichts heißen wollte, denn vielleicht gab es das Wort ja schon. »Achterbahn«, sagte ich probehalber. Ich konnte es ungehindert aussprechen, obwohl es im Jahr 1813 sicherlich keine Achterbahn gab, nicht mal eine Vorstufe davon. Oder doch? Nein, bestimmt nicht. War George … Konnte es sein, dass er aus der Zukunft stammte? Dass vielleicht er hinter dem ganzen Drama steckte? Ich presste meine Hand auf den wild klopfenden Puls an meinem Hals. Mir war plötzlich schlecht. George schaute mich nur verbindlich an. Sein feistes Gesicht zeigte bis auf eine deutlich sichtbare Rötung seiner Wangen keine besondere Auffälligkeit. Wobei nicht auszuschließen war, dass er schon mit den roten Backen hier angekommen war. Ich holte Luft und setzte dazu an, ein weiteres anachronistisches Wort zu sagen, doch ich brachte vor lauter Aufregung nur einen krächzenden Laut hervor statt Justin Bieber . Als ich neu ansetzte, wurde ich durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Wie angekündigt schaute Mrs Fitzjohn herein und erklärte knicksend, es gebe ein Problem mit dem Gärtner, das keinen Aufschub dulde.
Darauf sprang der Earl auf und verkündete in schmetternder Lautstärke, er müsse sowieso weiter und sehe mich ja spätestens heute Abend in Vauxhall Gardens.
Er küsste mir die Hand und eilte beschwingt davon. Ich blieb wie erschlagen auf dem Sofa zurück und starrte ihm erschüttert hinterher.
»Theoretisch könnte es an seiner Schwerhörigkeit gelegen haben«, mutmaßte ich zwei Stunden später, als Sebastiano von dem Boxkampf zurück war und wir uns wieder konspirativ ins Herrenzimmer zurückgezogen hatten. »Vielleicht hat er es einfach akustisch nicht verstanden.« Doch ich merkte selbst, wie zweifelnd meine Stimme klang.
»Diese angebliche Schwerhörigkeit kann genauso gut auch bloß gespielt sein«, erklärte Sebastiano. »Außerdem hast du selbst gesagt, er hätte es plötzlich sehr eilig gehabt.«
»Theoretisch kann er auch einfach bloß einen wichtigen Termin gehabt haben.«
Sebastiano schaute grimmig drein. »Theoretisch ist alles möglich. Praktisch müssen wir ihn als Verdächtigen in Betracht ziehen.«
»Aber Fitzjohn meinte, es kann sich überhaupt keiner einfach so an die Stelle des Prinzregenten setzen«, gab ich zu bedenken. »Wegen der Thronfolge.«
»Das will nichts heißen. Der Earl könnte mit jemandem zusammenarbeiten, nämlich mit dem eigentlichen Drahtzieher. Du weißt so gut
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