Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
hinzugehen, weshalb sie sich jetzt doppelt freute, dass es doch noch klappte. Sie ließ sofort ein Bad für mich vorbereiten. Während der Wartezeit setzte ich mich zu Opa Henri in den Salon.
»Freust du dich auf den Ball?«, fragte er.
»Ja«, log ich. »Es wird bestimmt wundervoll.«
»Davon bin ich überzeugt. Ich freue mich schon sehr darauf, denn es gibt nicht häufig die Gelegenheit, den König und die Königin zusammen zu sehen. Sie sind so ein schönes Paar.«
Die Königin kannte ich ja schon und wusste, dass sie toll aussah. Ob der König ihr in der Hinsicht das Wasser reichen konnte, blieb noch abzuwarten. Im Internet – jedenfalls so lange, bis er auf rätselhafte Weise daraus verschwunden war – hatte er recht nett ausgesehen, aber das konnte auch das Ergebnis schmeichelhafter Porträtmalerei gewesen sein.
»Und der Kardinal wird auch erscheinen«, fuhr Opa Henri fort. »Ein überaus mächtiger Mann.«
»Ja«, stimmte ich wortkarg zu.
»Allerdings fragt es sich, ob er auch gerecht ist«, sinnierte Opa Henri. »Vor allem, was die Hugenotten angeht.«
Ich nickte nur höflich, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Opa Henri saß aufrecht da, die Hände auf seinen Stock gestützt. Sein Blick schweifte zu dem schrecklichen Gemälde hinüber, das die Gräuel der Bartholomäusnacht zeigte. »Richelieu entstammt einer Familie, die sich von jeher Recht und Gesetz verschrieben hat. Sein Vater war Chef der Garde, sein Großvater ein berühmter Jurist. Doch unter ihnen war niemand, der die Pariser Bluthochzeit verhindert hätte – im Gegenteil.«
»Vielleicht ist Richelieu ganz anders«, sagte ich wider besseres Wissen.
Opa Henri schüttelte ernst den Kopf. Sein faltiges altes Gesicht war von Kummer gezeichnet, seine Augen blickten ins Leere. »Ich fürchte sehr, dass er noch viel schlimmer ist. Dass er den Boden bereiten wird für die endgültige Vertreibung meiner Glaubensbrüder.«
Marie öffnete die großen Flügeltüren des Salons und kam wie eine Fee hereingeschwebt. Ihre Augen leuchteten vor Erwartungsfreude. »Es geht los, Anna! Dein Bad ist fertig!«
Ich erhob mich von dem Sofa und lächelte Opa Henri zaghaft an. Er tat mir schrecklich leid, und ich hätte ihn gern getröstet, aber ich wusste nicht, wie. All diese grauenhaften Erlebnisse waren nur künstliche Erinnerungen, doch sicher waren sie genauso traumatisch.
Er erwiderte mein Lächeln mit wehmütiger Freundlichkeit.
»Macht euch schön, ihr beiden!«, rief er uns hinterher, als ich Marie zu ihrem Gemach folgte, wo sie schon alles hergerichtet hatte.
Als ich in das heiße, nach Lavendel duftende Badewasser stieg, merkte ich, wie angespannt ich die ganze Zeit gewesen war. Der Schlafmangel, die sich zuspitzenden Ereignisse, vor allem aber der Streit mit Sebastiano setzten mir schwer zu. Ich kam mir vor wie ein bis zum Anschlag aufgedrehtes, ständig im Zickzack hin und her sausendes Spielzeugauto, bei dem jemand den Schlüssel zum Aufziehen abgebrochen hatte.
Als Marie hörte, dass ich seit dem Vortag nichts gegessen hatte, ließ sie mir sofort ein Tablett mit Käsehäppchen bringen, von denen ich ein paar aß, während ich im Zuber saß. Danach fühlte ich mich besser, allerdings auch deutlich schlapper. Von dem heißen Wasser wurde ich müde. Minettes Kopfmassage beim Haarewaschen entfaltete eine hypnotisch-einschläfernde Wirkung. Ich war kurz davor, einzudösen. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich mich nach dem Baden noch ein oder zwei Stündchen hingelegt, doch das lehnte Marie kategorisch ab; es sei noch eine Menge zu tun, erklärte sie.
Während des gesamten Stylings hing ich völlig erledigt in den Seilen. Trotzdem machte ich ergeben alles mit, denn Marie war ganz in ihrem Element. Sie war quasi zu absoluter Höchstform aufgelaufen, und ich hätte es gemein gefunden, ihr den Spaß zu verderben. Die Prozedur lief ab wie bei einer Episode aus Extrem schön , wo die Vorher-Nachher-Kandidatinnen immer erst am Schluss der Sendung ihren neuen Look sehen durften. Minette polierte mir die Nägel mit einem speziellen Tuch, zupfte mir die Brauen, tupfte mir angenehm duftendes Parfüm hinter die Ohren, drehte mir die Haare mit dem Brenneisen auf und verpasste mir ein Make-up, während ich in Unterwäsche und Strümpfen auf dem Schemel saß und nicht in den Spiegel gucken durfte. Auch das Kleid hatte ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Immerhin hatte ich mir die Unterwäsche genauer angesehen, sie besaß eine erstaunliche
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