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Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)

Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)

Titel: Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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Ausdünstungen nach Alkohol, Schweiß und Schweinemist verströmend, kam er in den Goldenen Hahn getorkelt und warf sich auf eine freie Bank.
    »Diesen besoffenen Kerl beförderst du gleich wieder raus«, befahl Monsieur Mirabeau mir.
    Tatsächlich ließ sich der Mann bereitwillig von der Bank hochziehen. Zu bereitwillig. Obwohl er schon fast hinüber war, reichte seine Koordinationsgabe noch, um mich zu begrapschen.
    »Oh, so ein sssönes Fräulein«, lallte er, während er mir in den Ausschnitt fasste. Als ich zurücksprang, zerrissen die Schürze und das Oberteil meines Kleides. Es gab ein beeindruckend lautes Geräusch, das von mir durch einen spitzen Schrei untermalt wurde.
    Tatsächlich war der Schaden nicht allzu schlimm, ich hatte ja noch das Unterkleid darunter, das nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Im Grunde war es halb so wild. Der Typ war sowieso nicht mehr zurechnungsfähig – nur eine Sekunde nach dem Übergriff sackte er auf die Bank zurück, legte seinen Kopf auf die Arme und schlief ein. Monsieur Mirabeau ließ mir von der Magd sofort eine andere Schürze holen, die sogar sauber war. Trotzdem nutzte ich die Gelegenheit und spielte die Empfindsames-Gemüt-Karte. Diesen Schock, so behauptete ich, müsse ich erst mal in privater Umgebung überwinden.
    Monsieur Mirabeau rang entsetzt die Hände, denn das Abendgeschäft hatte ja noch gar nicht angefangen. Er stellte mir einen Gehaltszuschlag in Aussicht (genau genommen bot er an, die kaputte Tafel und die ebenfalls kaputte Schürze nicht von meinem Lohn abzuziehen), und als Nächstes hob er hervor, dass ich ja auch die Zudringlichkeit des jungen Edelmannes gut verkraftet hätte. Doch ich ließ mich nicht beirren.
    »Einmal war schlimm genug«, sagte ich. »Bedenkt, dass ich fast noch ein Kind bin!«
    Er hätte bestimmt noch weiter argumentiert, aber auf einmal roch es aus der Küche irgendwie angebrannt, und er stürmte zurück an den Herd.
    »Ich bin dann mal weg!«, rief ich ihm hinterher, doch das hörte er schon nicht mehr. Zwei Sekunden später war ich draußen und auf dem Weg zu Cécile.

    Die Glocken schlugen zur vollen Stunde, als ich die Rue Saint-Denis in Richtung Seine entlangmarschierte – ich zählte mit, und dann sah ich es auch auf der nächsten Turmuhr: vier Uhr. Ich beeilte mich, obwohl meine Füße wie Feuer brannten und meine Beine sich wie Blei anfühlten. Der Weg war leicht zu finden, ich musste immer nur geradeaus gehen.
    Wie schon am Morgen war in der Stadt reichlich was los. Vom Lärm her stand der Krach in diesem Jahrhundert dem aus meiner Zeit kaum nach. Karren ratterten mit Getöse über das Pflaster, Hufschlag klapperte zwischen den Häuserzeilen, in einem Hinterhof schnatterten Gänse, aus einem Dachstuhl hallten die Hammerschläge von Handwerkern.
    Die Gerüche waren in der Sommerhitze dicht wie eine Wand, es war deutlich schlimmer als am Morgen, vor allem, als ich wieder an besagtem Friedhof vorbeikam, der, wie ich inzwischen von Philippe erfahren hatte, Cimetière des Innocents hieß und der größte Friedhof von Paris war.
    Ich ging an einer Kirche vorbei, weiter bis zu einem alten Kastell, und gleich darauf lag auch schon der Fluss vor mir. Als ich diesmal über den Pont au Change ging, spürte ich definitiv auf halber Strecke einen seltsamen Schauder, und für einen Moment glaubte ich sogar, dass der kleine Beutel, den ich um den Hals trug, eine Spur von Wärme verströmte, die vorher nicht da gewesen war. Rasch legte ich die Hand darauf, und das Gefühl verflog wieder. Eilig ging ich weiter, durchquerte die Île de la Cité und erreichte endlich über den Pont Saint-Michel das linke Seine-Ufer.
    Die Tür des Hauses, in dem Cécile lebte, stand sperrangelweit offen. Daneben hockte eine schwarz gekleidete alte Frau auf einem Schemel und döste vor sich hin. Auch Céciles Wohnungstür war nur angelehnt. Trotzdem klopfte ich höflich an.
    »Ist offen!«, rief Cécile.
    Ich wollte eintreten – und fuhr erschrocken zurück, als plötzlich von innen die Tür aufgezogen wurde und mir ein Geruch entgegenschlug, den ich erkannte, noch bevor ich den dazugehörigen Mann sah. Es war niemand anderer als Céciles Ex Baptiste. Sein Gesicht über der Halskrause war knallrot angelaufen, auf seiner Stirn perlte der Schweiß. Mit gesenkten Lidern drückte er sich an mir vorbei und hinterließ eine gewaltige Wolke aus allen Düften des Orients, bevor er stumm und in Windeseile nach draußen verschwand.
    Cécile saß

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