Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
deutete sich ein Lächeln an. »Alles? O nein, Anna. Mich stört keineswegs alles an dir.« Seine Stimme wurde dunkel, seine Miene ernst. »Genau das ist mein Problem.«
»Heißt das, dass du mich doch nicht ganz so schlimm findest?«
»Scheint so«, sagte er knapp.
Ich atmete tief durch. »Dann sehen wir uns wieder?«
»Wahrscheinlich schneller, als es für uns beide gut ist.«
Während ich noch über diese rätselhafte letzte Bemerkung nachdachte, zog er mich völlig unerwartet in eine feste Umarmung. Er küsste mich kurz, aber heftig, dann ließ er mich los, genauso unvermittelt, wie er mich umschlungen hatte. Ich meinte, in seinen Augen einen Ausdruck tiefer Besorgnis wahrzunehmen, doch im nächsten Moment wandte er sich ab und ging über die sonnenbeschienene Place Royale davon.
Marie war außer sich vor Sorge. Sie kam mir schon auf der Treppe entgegen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie sah, wie durchgefroren, zerzaust und schmutzig ich war.
» Mon Dieu , ich dachte, ich sehe dich nie wieder! Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan! Du kannst dir nicht vorstellen, welche Vorwürfe ich mir gemacht habe, als du nicht zurückkamst!«
»Du kannst doch nichts dafür«, sagte ich lahm.
Das ließ sie nicht gelten. »Hätte ich dir bloß nie gestattet, dich mit diesem undurchsichtigen Kerl zu treffen!«
»Es ist nicht seine Schuld.«
»Aber er hat dich gezwungen, die Nacht mit ihm zu verbringen!« Sie sah mich von oben bis unten an, auf ihrem hübschen Gesicht stand Entsetzen. »Im Freien!«
»Äh … so war es nicht. Wir wurden überfallen und verschleppt. Es waren … Räuber.«
»Räuber?«
Ich wich ihren ungläubigen Blicken aus. »Ja. Sie haben uns im Wald ausgesetzt. Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert.«
Es kam mir nicht so vor, als würde sie mir die Story abkaufen, aber zu meiner Erleichterung hinterfragte sie das Ganze nicht weiter. Auf ihren Befehl hin musste ich sofort die feuchten Sachen ausziehen, und sie gab nicht eher Ruhe, bis ich in einem randvollen, dampfenden Badezuber saß, um die Kälte aus dem Körper zu kriegen. Minette wurde herbeizitiert und musste mir das Haar waschen und nebenher Häppchen reichen, die Marie aus der Küche kommen ließ.
Es war mir ein bisschen peinlich, in Gegenwart der beiden baden zu müssen, doch in diesem Jahrhundert fanden die Leute nichts dabei.
Marie sah ungeduldig zu, wie Minette mir nach dem Baden frische Tücher zum Abtrocknen reichte und meine Haare bürstete. Ich saß auf einem Schemel, in ein sauberes Unterkleid gehüllt, und futterte leckere kleine Käsepasteten, während Minette mir geschickt zwei Zöpfe flocht und sie zu einer Art Sissi-Frisur hochsteckte. Nur, dass ich damit nicht aussah wie Sissi, sondern eher wie Miley Cyrus mit zwölf.
»Das reicht«, sagte Marie zu Minette und befahl ihr, das Zimmer zu verlassen. Offensichtlich brannte sie darauf, unter vier Augen mit mir zu sprechen.
»Ich bin so froh, dass du wieder da bist«, bekannte sie, als Minette hinausgegangen war.
»Ich auch«, antwortete ich, während ich die Krümel von der letzten Pastete aufpickte. Es war nur eine halbe Lüge. Natürlich wäre ich viel lieber im einundzwanzigsten Jahrhundert gewesen, zusammen mit Sebastiano, doch wenn ich schon im Jahr 1625 festhing, war es auf jeden Fall sehr komfortabel, hier bei Marie zu wohnen. Ein heißes Bad, saubere Klamotten, köstliche Frühstückspasteten, weich gepolsterte Stühle, eine Zofe, die einem die Haare machte – das war ein Luxus, den sich in diesem Jahrhundert nur wenige Leute leisten konnten.
Trotzdem durfte ich mich nicht davon ablenken lassen. Mein vordringliches Ziel war die Rückkehr nach Hause, und am besten fing ich gleich mit der Planung an. Als Erstes wollte ich Gaston Bescheid sagen. Er musste erfahren, dass der Übertritt nicht geklappt hatte. Und ich wollte ihn zusammenstauchen, weil er Sebastiano niedergeschlagen hatte. Doch vorläufig bekam ich keine Gelegenheit dazu, denn Marie beanspruchte meine gesamte Aufmerksamkeit.
Sie wirkte aufgekratzt, ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen leuchteten vor Aufregung. »Du ahnst nicht, was sich Neues ergeben hat!« Ruhelos ging sie im Zimmer auf und ab. Ihr helles Seidenkleid raschelte bei jedem Schritt. »Sie kommt heute Abend hierher. Zu mir!«
»Wer?«, fragte ich verdutzt.
Marie lauschte nach allen Seiten, dann senkte sie verschwörerisch die Stimme. »Sie.«
»Oh, du meinst …« Ich dachte nach, doch es gab nur eine
Weitere Kostenlose Bücher