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Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)

Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)

Titel: Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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fragte ich mich, wie viele Menschen durch diesen Säbel wohl den Tod gefunden haben mochten. Vorsichtig und mit ausgestrecktem Arm trug ich ihn vor mir her. Von der Galerie aus lauschte ich kurz in den zu den Schlafräumen führenden Gang hinein – und tatsächlich, der zweite Akt war noch im Gange. Eilig lief ich die Treppe wieder runter.
    »Vielen Dank«, sagte Opa Henri, als ich ihm unten in der Halle den Säbel überreichte. Er hatte ein Tuch aus dem Wirtschaftsraum geholt und wickelte es um die Klinge. »Früher hatte ich eine passende Scheide dafür. Aber die ist mir in der Bartholomäusnacht abhandengekommen. Hinterher konnte ich mich nicht aufraffen, eine neue zu besorgen, denn ich wollte den Säbel nie wieder benutzen.«
    »Bartholomäusnacht?«, fragte ich. Es hatte sich angehört, als müsste jeder wissen, was es damit auf sich hatte. Und tatsächlich erinnerte ich mich vage an den Begriff, was ein Hinweis darauf war, dass wir es irgendwann mal in Geschichte durchgenommen haben mussten und ich es anschließend, so wie ungefähr fünfundneunzig Prozent des Unterrichts, gleich wieder verdrängt hatte.
    »Die Nacht des großen Tötens«, erklärte Henri. »Sie wird auch die Pariser Bluthochzeit genannt.« Seine Stimme klang bedrückt, in seinen Augen standen Trauer und nie verwundener Schmerz. »Das Massaker ist mehr als fünfzig Jahre her, und doch erinnere ich mich noch an jede Einzelheit. Das Morden dauerte die ganze Nacht. Überall lagen Tote in ihrem Blut, es gab keine einzige Gasse in der Stadt, die nicht zuhauf von Leichen bedeckt war. Sie trieben im Fluss und bedeckten die Plätze und Brücken. Kinder, Frauen, Greise – die Mörder kannten kein Erbarmen. In der Folge fanden in ganz Frankreich weitere Massaker statt, Tausende und Abertausende kamen ums Leben.«
    »Warum hat man den Menschen das angetan?«, fragte ich entsetzt.
    »Weil sie Hugenotten waren. Nicht viele überlebten in jener Nacht. Ich war einer von ihnen. Bei diesem Kampf wurde ich schwer verwundet, man hielt mich für tot und ließ mich zwischen den übrigen Leichen liegen. Am nächsten Tag kam ich zu mir, doch meine Familie lebte nicht mehr.«
    Jetzt fiel es mir wieder ein. Die Hugenotten waren die französischen Protestanten, und man hatte sie in einer Art Glaubenskrieg verfolgt, so ähnlich wie in Deutschland, nur dass man sie in Frankreich mit der Zeit komplett entrechtet und vertrieben hatte. Oder auch umgebracht, wie in besagter Bartholomäusnacht.
    Der arme Henri! Ich wurde von glühendem Mitleid durchströmt. Was hatte die Verpflanzung von der Zukunft in die Vergangenheit nur mit ihm angerichtet! Wie hatte man ihm solch entsetzliche Erinnerungen eintrichtern können!
    »Noch werden jene, die von uns übrig sind, von den Machthabern geduldet«, sagte Henri bitter. »Doch es ist ein zerbrechliches Gleichgewicht, das jederzeit enden kann. Unter Richelieu wird es immer schwerer für die unsrigen. Eines Tages werden wir alle aus unserer Heimat fliehen müssen, wenn wir am Leben bleiben wollen.«
    Das klang auf traurige Weise prophetisch, und ich erinnerte mich, dass tatsächlich genau das geschehen würde. Ludwig der Vierzehnte, der Nachfolger des jetzigen Königs, würde ein Gesetz erlassen, das den Hugenotten ihren protestantischen Glauben verbot, und sie dadurch endgültig aus Frankreich vertreiben.
    Ich hätte Henri damit beruhigen können, dass er das garantiert nicht mehr erleben würde, denn bis es so weit war, würde es noch ein paar Jahrzehnte dauern. Aber weil die Sperre mich sowieso daran gehindert hätte, versuchte ich es gar nicht erst. Stattdessen lächelte ich ihm tröstend zu und winkte ihm nach, als er das Haus wieder verließ, um zu seinem alten Kriegskameraden zurückzugehen. Den eingewickelten Säbel hatte er unter den Arm geklemmt, ebenso die Weinflasche. Sein dunkler Mantel wehte im Nachtwind hinter ihm her, und sein Stock klapperte auf dem Pflaster.

    Ich wollte mich gerade auf den Weg in die Küche machen, um mir dort einen kleinen Mitternachtssnack zu holen, als es an der Haustür klopfte. Rasch ging ich öffnen, in der Annahme, es sei Opa Henri, der etwas vergessen hatte und jetzt seinen Schlüssel nicht aus der Tasche holen konnte, weil er die Hände voll hatte.
    »Du«, stammelte ich. Mit diesem Besucher hatte ich ganz und gar nicht gerechnet. Sein Anblick erfüllte mich gleichzeitig mit Freude und Entsetzen.
    »Ich habe gesehen, dass du noch auf bist«, sagte Sebastiano.
    »Woran?«, fragte ich

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