Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
überrascht über diesen doch eher normalen Hintergrund. »Was studierst du denn?«
»Geschichte. Mit besonderem Schwerpunkt auf der italienischen Renaissance.«
Das bot sich für jemanden mit dem Hobby Zeitreise natürlich an.
»Und wie oft reist du in die Vergangenheit?«
»Zwei, drei Mal im Jahr. Manchmal für eine Woche, manchmal auch zwei. Selten länger.«
»Dann ist das also nur eine Art … Ferienjob von dir?«
Erneut lächelte er. »So könnte man sagen.«
»Wie funktioniert es? Ich meine, wenn du diese … Zeitfenster benutzt – kommst du dann immer exakt im selben Moment zurück, in dem du zuvor aufgebrochen bist?«
»Nein, die Zeit läuft zwischendurch weiter, in der Zukunft ebenso wie in der Vergangenheit.«
»Aber du hattest mir doch erzählt, ich würde genau zu dem Zeitpunkt wieder in der Zukunft landen, an dem ich von dort verschwunden war!«
»Das funktioniert nur mit der Gondel und nur bei Mondwechsel. Und das leider auch nicht immer.«
»Was meinst du damit?«
»Es kommt vor, dass Reisende ganz einfach verschwinden.«
Ein Frösteln überlief mich. Ob das mit den Tasselhoffs passiert war? Ich schluckte und entschied, diese Frage hinauszuschieben.
»Mit anderen Worten, du benutzt nicht immer die Gondel?«
»Nein, eher selten.«
»Wie reist du dann durch die Zeit?«
»Es gibt Portale, durch die ich gehe.«
»Wo sind die?«
»Es ist besser, wenn du das nicht weißt. Du könntest sowieso nichts damit anfangen.«
»Du meinst, ich könnte da nicht durchgehen?«
»Genau.«
»Woher willst du das wissen?«
Er zuckte die Achseln. »Man kann es nicht von allein. Sondern erst nach einer bestimmten … Spezialbehandlung.«
»Was heißt Spezialbehandlung ? Wirft man ein paar Pillen ein? Kriegt man einen Zeitreise-Chip ins Gehirn gepflanzt? Oder wird man von einem Guru hypnotisiert?«
»Nichts von alledem. Frag mich nicht, ich bin nicht befugt, dir das zu sagen.«
»Musst du eine Schweigepflicht einhalten?«
»Genau. Die ich die ganze Zeit sowieso schon bis zum Anschlag ausreize. Besser, wir reden über was anderes, Anna.«
»Warte. Nur ein paar klitzekleine Fragen noch. Was ist mit diesem einäugigen José? Woher stammt er?«
»Aus Spanien.«
»Und aus welcher Zeit?«
»Das weiß ich nicht, denn er kann es mir nicht sagen.«
»Du meinst …« Ich hielt die Luft an. »Er ist aus der Zukunft? Aus unserer Zukunft?«
»Das nehme ich an.«
»Ist er der Leiter dieser ganzen … Operation?«
Die Antwort darauf blieb Sebastiano mir schuldig. Er war in einen Seitenkanal eingebogen und dort standen am Ufer Leute, die uns hören konnten. Sebastiano verdeutlichte mir mit einer Geste, dass die Sperre ihn an weiteren Erklärungen hinderte.
Er ließ die Gondel gegen eine Anlegestelle treiben und schlang die Bootsleine um einen der dort aus dem Wasser ragenden Pfähle.
Wir stiegen aus der Gondel und gingen zu einem beeindruckenden Bauensemble, das aus einer Kirche mit bogenförmig geschwungenen Fassadenabschlüssen, einer unmittelbar angrenzenden zweiten Kirche mit Glockenturm und weiteren Ziegelgebäuden bestand. Die größere Kirche sah nagelneu aus, trotzdem war mir ihr Anblick vage vertraut. Dann erinnerte ich mich, dass ich das Bauwerk gemeinsam mit meinen Eltern bei unserem Stadtrundgang besichtigt hatte. Hier war früher – also jetzt – ein Benediktinerinnenkloster gewesen. Mir fiel sogar der Name wieder ein.
»San Zaccaria«, sagte ich.
»Ganz recht«, bestätigte Sebastiano. »Das vornehmste Nonnenkloster Venedigs.«
»Ich will keine Nonne werden«, stellte ich klar.
Sebastiano lachte. »Das dachte ich mir schon. Deshalb habe ich mit der Äbtissin ausgemacht, dass du dort als Gast untergebracht wirst.«
»Weiß sie Bescheid?«
»Nein.« Er senkte die Stimme, um sicherzustellen, dass uns niemand zuhörte. »Hier weiß keiner etwas und das bleibt auch so. Du bist meine Cousine aus Rom und nur zu Besuch hier.«
»Ich dachte, ich wäre Mariettas Cousine«, sagte ich.
Er hob eine Braue. »Wir sind alle eine große Familie.«
Unzählige weitere Fragen stürmten auf mich ein. Etwa, wie er zu diesem Job gekommen war und worin genau seine Aufgabe bestand.
Doch das musste ich vorläufig auf Eis legen, denn auf Sebastianos Klopfen an der Klosterpforte wurde sofort geöffnet. Eine behäbige Nonne in einer schwarzen Kutte fragte nach unserem Anliegen, worauf Sebastiano ihr höflich mitteilte, er bringe seine Cousine aus Rom, wie bereits mit der Ehrwürdigen Mutter
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