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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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Sein Atem kitzelte mich an der Schläfe. »Die gibt es nur … zu Hause.«
    »Kannst du wenigstens meinen Eltern ausrichten, dass mit mir alles in Ordnung ist?«
    »Das geht nicht. Ich erkläre es dir beim nächsten Mal.«
    Plötzlich merkte ich, dass aus der gespielten Abschiedsumarmung eine richtige geworden war. Sebastiano hielt mich überraschend fest. Sein sauberer, männlicher Geruch stieg mir in die Nase und verwirrte mich, so wie schon einmal. Verwirrend fand ich auch, wie klein ich mir vorkam, wenn ich so dicht bei ihm stand. Er war fast einen Kopf größer als ich. Meine Augen waren auf derselben Höhe wie seine Lippen.
    Dann ließ er mich los und trat einen Schritt zurück. »Das Gepäck lasse ich dir von einem Boten bringen.«
    »Welches Gepäck?«
    »Marietta wird ein paar Sachen für dich zusammenpacken.«
    Ich wusste nicht, ob ich das gut finden sollte. Klar, sie hatte einen erlesenen Geschmack, daran war nicht zu rütteln. Aber wenn Sebastiano sie einfach auffordern konnte, doch mal eben ein paar Sachen für die arme, verlassene kleine Anna zusammenzupacken, setzte das eine gewisse Vertraulichkeit zwischen den beiden voraus. Merkwürdigerweise störte mich das.
    »Bis bald«, sagte Sebastiano.
    »Bis bald«, erwiderte ich.
    Ich wollte noch mehr sagen, vielleicht etwas Witziges, um nicht so trostlos und bedürftig dazustehen, doch mir fehlten die Worte.
    Dann fiel die Pforte hinter ihm zu und ich war allein.

    Allein unter Nonnen, um genau zu sein. Kaum war Sebastiano gegangen, näherten sich aus allen Richtungen Bewohnerinnen des Klosters, um sich mit mir bekannt zu machen. Und um zu fragen, wie mein Cousin hieß, wie alt er war, wo er wohnte und wann er wiederkäme.
    Ich wurde von allen Seiten umringt und ausgefragt. Auf diese Weise lernte ich Orsola, Imelda, Beata und noch ein paar andere Mädchen in meinem Alter kennen. Die meisten lebten schon sehr lange im Kloster, manche waren schon im Alter von sieben Jahren hierhergekommen.
    Ich erinnerte mich daran, was der Stadtführer meinen Eltern und mir über die Nonnenklöster erzählt hatte. Demzufolge waren sie eine Art Verwahranstalt für Frauen aus reichem Hause. Heiraten durften nämlich nur die ältesten Töchter. Das war eine Folge der ruinös hohen Mitgiften, die von Bräuten aus reichen Familien erwartet wurden. Ein Platz im Kloster war billiger zu haben. Deshalb mussten alle zweiten, dritten und weiteren Töchter Nonne werden und bis an ihr Lebensende betend hinter Klostermauern versauern.
    Im Laufe der Unterhaltung mit den Mädchen erfuhr ich allerdings, dass ihr Leben im Kloster gar nicht so übel war. So regte sich beispielsweise niemand auf, wenn die Nonnen sich in ihren Zimmern schminkten oder hübsche Kleider anzogen; nur in der Öffentlichkeit durfte das niemand sehen.
    Diese interessante Neuigkeit erfuhr ich, während ich gemeinsam mit Orsola, Beata und Imelda mehrmals durch den Kreuzgang wandelte. Sie verrieten mir auch weitere pikante Einzelheiten: Nachts gab es manchmal Feiern mit Musik und Tanz und Wein, neulich auch erst wieder. Ab und zu kamen sogar Männer zu den Feiern, dann wurde es richtig lustig.
    Tuschelnd teilte Beata mir mit, dass sie schon am kommenden Abend wieder ein Fest feiern wollten, im Zimmer von Dorotea.
    »Da wohne ich auch«, sagte ich verblüfft.
    »Eben«, flüsterte Orsola. »Ihr seid beide keine Nonnen, da kann die Ehrwürdige Mutter leichter ein Auge zudrücken.«
    »Oder zwei«, kicherte Beata.
    Ich kam kaum damit nach, diese Informationen zu verdauen. Allem Anschein nach gab es in diesem Jahrhundert weit Schlimmeres als das Nonnenleben.
    »Meinst du, dein Cousin Sebastiano kann auch kommen?«, fragte Imelda.
    »Er muss leider geschäftlich verreisen.«
    Die Mädchen zeigten mir auch die anderen Bereiche des Klosters. Sie führten mich durch den Wirtschaftstrakt, wo in der Küche und der Wäscherei scharenweise Mägde arbeiteten, durch den Speisesaal, der Refektorium genannt wurde, und schließlich durch das Scriptorium, einen Schreibsaal nebst einer mit erstaunlich vielen Büchern bestückten Bibliothek. Bücher, so wusste ich inzwischen von Clarissa, waren in dieser Zeit eine wertvolle Rarität, weil es den Buchdruck noch nicht lange gab und die meisten Bände daher immer noch mühsam von Hand hergestellt werden mussten, oft von Mönchen, die extra in Kalligrafie ausgebildet waren.
    Nachdem ich alles gesehen hatte, gingen wir wieder ins Freie, um die Latrinen und dann den Gemüse- und Kräutergarten zu

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