Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
besichtigen, bis Schwester Giustina erschien und uns befahl, in unseren Zimmern zu verschwinden. Alle Nonnen sollten ihren Habit anlegen, alle weltlichen Gäste und Dienerinnen ihre Hauben. Gleich darauf erfuhr ich auch den Grund: Einige amtliche Würdenträger hatten ihren Besuch angekündigt. Sie würden mit der Äbtissin speisen und hinterher gemeinsam in der Kirche von San Zaccaria die Messe besuchen.
»Dann müssen wir alle einen guten Eindruck machen«, teilte Orsola mir auf dem Weg zum Dormitorium mit. »Sonst könnten die hohen Herren denken, dass im Kloster nicht genug Zucht und Ordnung herrschen. Sie würden wieder neue Gesetze erlassen, um uns auch noch das kleinste bisschen Spaß zu verbieten!«
Ich erfuhr, dass das schon öfter vorgekommen war. So gab es unter anderem ein Gesetz, das Männern verbot, sich bei Nacht in Nonnenklöstern herumzutreiben.
»Als ob sich einer daran halten würde«, meinte Orsola.
Allmählich gewann ich den Eindruck, dass in den Nonnenklöstern dieser Zeit allerhand los war. Solange nach außen hin der Schein gewahrt wurde, gab es innerhalb der Mauern offenbar reichlich Spaß.
Wenig später brachte ein Bote eine Kiste ans Tor des Klosters. Zwei Mägde schleppten sie in Monna Doroteas Kammer und stellten sie keuchend ab, mit der Erklärung, dass es sich um mein Gepäck handle.
Ich war nicht sehr überrascht, stapelweise Kleidung von Sebastianos guter alter Freundin Marietta vorzufinden, inklusive eines kleinen Beutels mit Münzen. Nicht ganz so viele goldene wie beim letzten Mal, aber immerhin. Sogar das Kleid, das ich heute nach dem Aufstehen verschmäht hatte, war dabei, ebenso wie ein paar andere sehr schöne Gewänder und Unterkleider.
Ich war gerade mit dem Sichten aller Sachen fertig, als eine Frau in die Zelle gestürmt kam, bei deren Anblick der Papagei sofort in begeistertes Geschrei ausbrach.
»Monna Dorotea, mein Schatz!«, kreischte er. »Monna Dorotea, meine Schöne!«
»Ich bin Dorotea«, stellte die Frau sich mir überflüssigerweise vor. »Und du musst Anna sein, meine neue Zimmergenossin!« Zu dem Papagei sagte sie: »Sei still, Polidoro!«
Verstohlen musterte ich sie. Wie eine trauernde Witwe kam sie mir nicht vor. Vor allem hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie so jung und hübsch wäre. Eher hatte ich eine Dame in mittleren Jahren erwartet, verhärmt, vergrämt und farblos.
Dorotea aber war höchstens zwanzig. Davon abgesehen, passte sie farblich bestens zu ihrem Papagei. Sie trug ein hellblaues Kleid, eine smaragdgrüne Haube und rote Schuhe. Auch ihr Haar war rot. Als sie die Haube vom Kopf zog, wallte es in kupfrigen Locken über ihre Schultern.
»Falls du dich wunderst, warum ich kein Schwarz trage – die Schneiderin ist noch nicht mit dem Nähen meiner Trauergarderobe fertig«, sagte Dorotea. Bei dem Wort Schwarz verzog sie das Gesicht, anscheinend war das Tragen von schwarzen Kleidern für sie schlimmer als das Dahinscheiden ihres Gatten.
Trotzdem bekundete ich ihr mein Beileid, was sie mit einem nachlässigen Achselzucken abtat. »Seine Zeit war gekommen«, sagte sie. »Taddeo war steinalt, er hätte mein Großvater sein können.«
»Du meine Güte!«, sagte ich entsetzt. »Hat man dich gezwungen, ihn zu heiraten?«
Sie lachte. »Ach wo. Er war reich wie Krösus. Alte Männer mit Geld sehen oft jünger aus, als sie sind. Jedenfalls zu Anfang. Später half es aber auch nicht mehr viel. Am Ende brauchte er trotz all seiner Dukaten Windeln.«
Betroffen blickte ich sie an, doch anscheinend hatte sie den Stress gut überstanden, denn gleich darauf stürzte sie sich mit entzückten Ausrufen auf die offene Kiste, um meine neuen Kleider zu besichtigen. Im Gegenzug holte sie ihre Sachen hervor und zerrte ein Kleid nach dem anderen aus ihrer Truhe, um es mir vorzuführen. Es waren wirklich wunderschöne Gewänder und Accessoires dabei, allmählich entwickelte ich ein Auge dafür, was hier modisch angesagt war.
»Wie findest du das hier?«, fragte sie, während sie ein gelbes Seidentuch um ihre Schultern legte. »Habe ich gerade gekauft!« Sie drehte sich, bis ihre Röcke flogen und der Schal um sie herumflatterte.
»Monna Dorotea, mein Schatz«, schrie Polidoro. »Monna Dorotea, meine Schöne!«
»Das Tuch ist wirklich sehr schön«, sagte ich.
Dorotea seufzte. »Ach, es ist so ein Jammer, vielleicht werde ich es nie mehr tragen können, denn man wird von mir verlangen, dass ich für den Rest meines Lebens in Schwarz gehe. Schon in den
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