Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
ich nervös.
Zu meiner Erleichterung meinte Dorotea: »Nein, wir treffen uns sonst immer bei ihm. Heute war eine Ausnahme. So bald werden wir das nicht wiederholen. Es gab Ärger, die Feier war schnell vorbei. Wir mussten Schwester Giustina mit meinem zweitbesten Seidentuch und einem ganzen Mandelkuchen bestechen, damit sie die Männer zur Pforte hinausließ. Die Leiter war verschwunden.«
Ich hielt es für besser, nicht zu erwähnen, dass ich sie lediglich an der anderen Mauerseite aufgehängt hatte, um meine Rückkehr sicherzustellen.
»Warum war die Feier denn so schnell zu Ende?«
»Polidoro hat im Kreuzgang schrecklichen Krach geschlagen.« Doroteas Tonfall wurde anklagend. »Wieso musstest du den armen Vogel auch mit hinausnehmen?«
»Der Käfig war zufällig zur Hand, um ihn mir vors Gesicht zu halten. Ich mag es nicht, wenn fremde Männer mich aus der Nähe anglotzen.«
»So ist Alvise nicht«, behauptete Dorotea, doch es klang halbherzig. »Gute Nacht«, meinte sie schließlich ein wenig versöhnlicher. »Schlaf schön.«
Das musste sie mir nicht zweimal sagen. Ich war so erledigt, dass ich keinen Finger mehr rühren konnte. Beinahe von einer Sekunde auf die andere schlief ich ein.
Das Morgenläuten der Klosterkirche nebenan weckte mich. Es kam mir vor, als hätte ich höchstens zwei Minuten geschlafen. In Wahrheit waren es vielleicht zwei Stunden, was auch nicht viel besser war. Jedenfalls konnte ich unmöglich aufstehen.
»Ich will nicht aufstehen«, krächzte Polidoro hinter dem Wandschirm. Dieser Vogel sprach mir aus dem Herzen.
Als ich merkte, dass Dorotea einfach liegen blieb, tat ich dasselbe. Solange niemand kam, um uns aus dem Bett zu werfen, bestand kein Anlass zur Hektik.
Rasch schlief ich wieder ein, doch die Ruhe hielt nicht lange vor. Bald darauf klopfte es und Schwester Giustina kam herein. »Das Morgengebet fängt gleich an«, sagte sie.
»Ich gehe am späten Nachmittag zur Vespermesse in die Basilika«, murmelte Dorotea.
Giustina schaute missbilligend drein. »Das sagt Ihr immer, aber mir scheint, als wäret Ihr oft anderweitig unterwegs.«
»Was schert es Euch«, murrte Dorotea. »Ich bin hier Gast und zahle gut. Reicht Euch nicht das schöne Tuch von letzter Nacht? Was wollt Ihr noch?« Sie hielt inne. »Na gut. Die Spange aus Perlmutt. Dann will ich aber für den Rest der Woche meine Ruhe und so oft ausgehen, wie ich will. Auch an den Abenden.«
Schwester Giustina nahm widerspruchslos die Spange, doch anstatt zu gehen, fragte sie mich: »Was ist mit dir, mein Kind? Willst du nicht zur Morgenmesse kommen, so, wie es alle frommen Frauen in diesem Kloster tun?«
»Ich fühle mich nicht gut«, murmelte ich.
»Beim Beten würde es dir rasch bessergehen.« Abwartend blieb sie neben meinem Bett stehen.
Ich hatte das Prinzip bereits begriffen. Verschlafen setzte ich mich auf und wühlte in der Truhe herum, die am Fußende des Betts stand. Endlich fand ich das Beutelchen mit den Münzen und suchte eine kleine Silbermünze heraus, die Schwester Giustina wortlos einsackte. Danach trat sie den Rückzug an und ließ uns weiterschlafen.
Beim Mittagsläuten war es allerdings endgültig mit der Nachtruhe vorbei. Polidoro fing an zu krächzen und Dorotea erklärte, sie müsse sich sputen, weil sie für die abendliche Feier bei Trevisan noch eine Maske kaufen wolle. Als ich das hörte, war ich schlagartig hellwach. Die Feier!
Ob Sebastiano rechtzeitig zurückkam, um Alvises Mordpläne zu vereiteln?
Wer immer dieser Trevisan war, er musste ein wichtiger Mann sein, sonst hätte Sebastiano nicht solchen Wert darauf gelegt, ihn zu beschützen.
Bald malte ich mir alle möglichen Scheußlichkeiten aus: Alvise hatte Sebastiano mit einem Trick zurück in die Zukunft gelockt, ihn da in eine weitere Messerstecherei verwickelt und diesmal die Oberhand behalten. Sebastiano lag schwer verletzt in einem zukünftigen Krankenhaus, während hier das Unheil seinen Lauf nahm!
Meine Fantasien wurden immer unerfreulicher. Es dauerte nicht mehr lange, bis ich davon überzeugt war, dass Trevisans Leben keinen Cent mehr wert war. Sebastianos sämtliche Anstrengungen, ihn zu retten, wären umsonst gewesen.
»Sag mal, wer ist eigentlich dieser Trevisan?«, fragte ich Dorotea, als wir nach dem Mittagessen in unsere Zelle zurückkehrten.
»Massimo Trevisan ist ein sehr geachtetes Mitglied im Rat der Zehn. Viele sehen in ihm den nächsten Prokurator. Oder vielleicht sogar den nächsten Dogen. Alvise glaubt
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