Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
Stück Papier aus seiner Gürteltasche hervor und reichte es einem der Wachhabenden.
Der gab es einem der anderen, vermutlich weil der besser lesen konnte. Nach eingehendem Studium des Inhalts gab der Wachmann Sebastiano das Papier zurück und befahl seinen Kollegen, den edlen Herrn und seine Frau Gemahlin durchzulassen.
»Steht das auf dem Wisch?«, fragte ich flüsternd, als wir durch den Torbogen gingen. »Dass ich deine Frau Gemahlin bin?«
Sebastiano setzte eine verschwörerische Miene auf. »Man muss für alle Fälle gerüstet sein. Schließlich bin ich so was wie ein Geheimagent. Da gehört eine passende Frau einfach dazu.«
Ich kam mir irgendwie verrucht vor, als er das sagte. Fast wie eine Art Bond-Girl.
»Schade, dass du nicht die Lizenz zum Töten hast«, meinte ich. »Dann gäbe es mit Alvise deutlich weniger Stress.«
»Darüber habe ich manchmal schon ernsthaft nachgedacht. Aber es wäre schlechter Stil. Wo bliebe dann der Unterschied zwischen Gut und Böse?«
Das sah ich ein, obwohl es zwiespältige Gefühle in mir weckte. Wenn er nicht aufpasste, brachte seine noble Gesinnung ihn eines Tages noch um.
»Aber Notwehr ist ja wohl erlaubt«, meinte ich. »Du musst dich beim nächsten Mal einfach nur mal richtig wehren, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Mal schauen, was sich da machen lässt.«
Gleich darauf war Schluss mit unserer Frotzelei, denn am Fuße der großen Freitreppe im Innenhof des Dogenpalastes hielten uns zwei weitere Bewaffnete auf, denen Sebastiano abermals seinen Passierschein zeigen musste.
Unterdessen sah ich mich neugierig um. Die beiden großen Statuen, die in meiner Zeit die Freitreppe flankierten, gab es noch nicht, und auch der Innenhof kam mir größer und weniger zugebaut vor als der in der Zukunft.
Sebastiano hatte Mühe, die Treppe hinaufzusteigen. Bei jedem Schritt stöhnte er leise und einmal zwang ihn ein Hustenanfall zum Stehenbleiben.
Ich hielt mich dicht an seiner Seite und stützte ihn. »Bist du sicher, dass du das durchziehen willst?«
Anstelle einer Antwort biss er die Zähne zusammen und setzte einen Schritt vor den anderen, bis wir den ersten Stock erreicht hatten. Dort blieben wir abermals stehen, damit er kurz verschnaufen konnte.
Ich blickte mich nach allen Seiten um, doch von den Leuten, die auf den Balustraden unterwegs waren, nahm kaum jemand Notiz von uns. Ich sah etliche Amtsträger, in Roben unterschiedlicher Farben gehüllt und mit Hüten auf dem Kopf, die ihr würdevolles Auftreten noch unterstrichen. Andere wiederum waren schlicht gekleidet und verneigten sich, wenn ein Talartyp vorbeikam, also waren das vermutlich Amtsdiener.
Der Dogenpalast, das wusste ich noch von unseren Besichtigungen, war in dieser Zeit Regierungs- und Verwaltungssitz von Venedig, mit unzähligen Behörden und jeder Menge Beamter und Politiker. Auch der Doge logierte hier, seine Gemächer befanden sich im zweiten Stock.
Aufgeregt überlegte ich, ob ich ihn vielleicht zu Gesicht kriegen würde. Einen leibhaftigen Dogen!
»Falls du nach dem Dogen Ausschau hältst – der ist momentan nicht hier, sondern in seiner Villa auf dem Festland.«
»Ich habe die ganze Zeit geahnt, dass du Gedanken lesen kannst«, sagte ich.
»Ich wünschte, ich könnte es.« Sebastiano lächelte ein wenig kläglich. »Dann wüsste ich, wann Alvise seine nächsten Winkelzüge ausführt.«
»Na ja, aber dafür weißt du, dass er heute auf diese Sitzung geht, die du verhindern musst«, sagte ich tröstend. »Das ist doch schon mal viel wert.«
»Es wäre noch mehr wert, wenn ich dafür einen guten Plan hätte.«
Entgeistert blickte ich ihn an. »Sag nur, du hast keinen! Was tun wir denn dann hier?«
»Wir gehen jetzt zu diesem verdammten Sitzungssaal«, knurrte Sebastiano. Er atmete durch und setzte sich in Bewegung.
»Und dann? Wartest du auf eine Inspiration, wenn wir dort angekommen sind?« Ich lief zuerst neben ihm her, dann vor ihm, wobei ich rückwärtsging, um ihn besser ansehen zu können. Wegen seiner Verletzung konnte er nicht allzu forsch ausschreiten, das erleichterte es mir, ihm immer einen Schritt voraus zu bleiben und ihm eindringlich in die Augen zu schauen. »Hör zu, Sebastiano, das Ganze ist sowieso eine Schnapsidee! Lass uns einfach wieder gehen und bei Monna Faustina warten, bis José auftaucht. Der soll dich erst mal zu einem anständigen Arzt bringen! Bestimmt nützt das mehr, als hier ohne Plan durch die Gegend zu laufen.«
»Ich sagte nicht, dass ich gar
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