Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
hatte ich Sebastiano zum ersten Mal gesehen. Es war nur ein paar Wochen her, doch mir kam es vor, als seien seither Jahre vergangen, und das, obwohl es streng genommen überhaupt noch nicht passiert war.
José drückte die Kirchentür auf, die knarrend unter seinen Bemühungen nachgab, ein Geräusch, das mich schlagartig auf den Boden der Tatsachen zurückholte. José hielt die Tür fest und ließ Bart als Ersten hineingehen. Der schleppte Sebastiano, ohne zu zögern, in Richtung Altar, hielt dann aber bei einer Säule inne und legte ihn sanft auf dem Boden ab.
Ich blieb stehen und rieb mir den Nacken. Es hatte angefangen, zu jucken.
»Irgendwas passiert gleich«, sagte ich beunruhigt zu José.
Er sah mich scharf an, bemerkte, wie ich mir den Nacken rieb und schaute besorgt drein. Dann wandten wir uns gleichzeitig dem Altarraum zu, wo ein Geräusch zu hören war. Die Tür zur benachbarten Sakristei öffnete sich.
»Ist da jemand?«, ertönte eine barsche Männerstimme.
Bart richtete sich alarmiert auf. José eilte an Sebastianos Seite und beugte sich über ihn. Erschrocken bemerkte ich die dünne Linie aus weißem Licht, die ungefähr auf halber Höhe der Säule begann und nach unten lief, wo sie einen Ausläufer zu bilden schien.
»Ihr müsst den Mann ablenken«, sagte José leise, während die Lichtlinie sich um ihn und Sebastiano schlang, als würden ihre Gestalten mit einem weißen Laserpointer umrandet. »Das Fenster ist instabil. Wenn er herkommt und das hier sieht, verschwindet das Portal und alles war umsonst!«
Bart und ich reagierten sofort. Als hätten wir uns abgesprochen, rannten wir im selben Augenblick los und spurteten in Richtung Sakristei. Bart war schneller da als ich, er hatte die längeren Beine und war eindeutig der bessere Läufer. Vor uns tauchte ein Mönch auf. Sein überrascht aufgerissener Mund bildete ein dunkles Oval in der helleren Fläche des Gesichts. Bart warf sich auf ihn und drängte ihn durch die offene Tür in die Sakristei zurück. Der Mönch stieß einen protestierenden Schrei aus.
Aus den Augenwinkeln sah ich hinter mir ein weißes Gleißen, doch ich drehte mich nicht um, sondern tat einen Satz nach vorn und warf die Tür der Sakristei zu.
Drinnen polterte es mehrmals und dann hörte ich den Mönch lauthals schimpfen.
Ich hielt die Luft an und wandte mich zu der Säule um, doch das helle Licht war weg. Hastig lief ich zu der Stelle, wo Bart Sebastiano abgeladen hatte. Langsam stieß ich den angehaltenen Atem aus, während ich um die Säule herumging, in der angstvollen Erwartung, er könne noch dort liegen, weil das Portal sich vorzeitig geschlossen hatte. Das Licht war so schnell wieder erloschen und einen Knall hatte ich auch nicht gehört, bis auf den der zufallenden Tür.
Doch an der fraglichen Stelle befand sich niemand. Sowohl Sebastiano als auch José waren verschwunden. Sie hatten es geschafft. Es war gerade noch einmal gut gegangen!
Das heftige Jucken hatte sich zu einem milden Brennen abgeschwächt, noch etwas unangenehm, aber leicht auszuhalten.
Ein erleichterter Seufzer entwich mir, während ich mich wieder der Sakristei zuwandte. Vorsichtig öffnete ich die Tür – und schrak zurück. Bart hatte in dem Handgemenge mit dem Mönch den Kürzeren gezogen. Er lag bäuchlings auf dem Boden, aus einer Wunde an seiner Stirn lief Blut. Über ihn gebeugt stand sein Gegner, eine in der dunklen Kutte gedrungene und kräftige Gestalt. In der Faust hielt der Mönch die Waffe, mit der er Bart niedergeschlagen hatte – einen massiven Kerzenleuchter. Die Kerzen waren herausgefallen und über den Boden gerollt und als ich näher trat, wäre ich fast auf einer ausgerutscht.
Bart stöhnte und bewegte sich, worauf der Mönch ihm zu meinem Entsetzen einen weiteren Hieb versetzte.
Anschließend wandte er sich zu mir um, angriffslustig den Leuchter umklammernd. Als er einen Schritt auf mich zumachte, wich ich zurück.
»Ich kann das alles erklären«, stammelte ich.
Doch darauf legte er anscheinend keinen Wert.
»Gemeine Kollektenräuber!«, raunzte er, mit dem Kerzenhalter zum Schlag ausholend.
Ich drehte mich auf dem Absatz um und floh.
Ich versteckte mich in Sichtweite unter einem Torbogen, auf dem Sprung, sofort davonzurennen, doch der Mönch versuchte gar nicht, mich zu verfolgen. Zitternd drückte ich mich gegen die Mauer und starrte die Kirchenpforte an. Nach einer Weile kam ein Mann in einer Kutte heraus und wieder machte ich mich bereit zu fliehen, doch
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