Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
es war ein anderer Mönch. Er eilte quer über den Platz, kam jedoch dabei nicht in meine Richtung, sondern verschwand in der gegenüberliegenden Gasse.
Eine ganze Zeit lang passierte nichts. Ich fing in meiner Nervosität an, Fingernägel zu kauen. Immer mehr Leute erschienen auf der Bildfläche und überquerten den Platz. Arbeiter, Marktfrauen, Fischer – der Tag fing für viele Menschen in Venedig früh an. Meine Angst vor Entdeckung wuchs, doch die Ungewissheit über Barts Schicksal zwang mich auszuharren, bis ich wusste, was mit ihm los war.
Dann tauchte der Mönch, der vorhin die Kirche verlassen hatte, wieder auf, in seinem Schlepptau drei Bewaffnete. Alle Mann gingen in die Kirche und nach kurzer Zeit kamen sie wieder heraus. Zwei von ihnen schleiften Bart mit sich. Eher stolpernd als gehend, wurde er von ihnen vorwärtsgezerrt, den Kopf gesenkt und die Hände auf dem Rücken gefesselt.
Ich atmete tief aus. Gott sei Dank, er war noch am Leben! Nun musste ich nur noch in Erfahrung bringen, wohin man ihn brachte.
Mein Plan, den Männern möglichst unauffällig zu folgen, wurde jedoch schon im Ansatz vereitelt. Der Mönch, der Bart niedergeschlagen hatte, tauchte plötzlich im Kirchenportal auf und blickte mit zufriedener Miene den abziehenden Wachleuten und ihrem Gefangenen nach. Ich zog mich blitzartig wieder unter den Torbogen zurück und beschloss, mein Schicksal fürs Erste nicht länger herauszufordern. Bei der Verfolgung der Wachleute hätte ich ohnehin nur herausgefunden, was auf der Hand lag – sie würden ihn ins Gefängnis bringen und wo das war, wusste ich. Die Verliese befanden sich im Keller des Dogenpalastes.
Kurzerhand verkrümelte ich mich in die Gasse und machte mich auf den Weg zum Maskenladen.
Meine Hoffnung, dort die alte Esperanza vorzufinden, zerschlug sich rasch. Der Laden wirkte verlassen, man hatte sogar das Schild hereingeholt. Es schien fast, als sei er aufgegeben worden. Ein beklemmendes Gefühl beschlich mich, das sich allmählich in Zorn verwandelte. Ob diese Alten jemals so etwas wie Verantwortung für ihre Teams fühlten? Was hatte Bart überhaupt davon, dass er sich so engagierte und jedes Mal sprang, wenn Esperanza ihm Befehle erteilte? Sobald es brenzlig für ihn wurde, verschwand sie einfach!
José war auch nicht viel besser. Ständig reiste er in der Zeit herum, doch wenn er wirklich gebraucht wurde, war er nicht da. Sebastiano war fast gestorben, viel hatte nicht gefehlt!
Aus dem Schatten eines Torbogens löste sich eine Gestalt und näherte sich.
»Dem Himmel sei Dank!«, rief Clarissa mir entgegen. Sie kam mit ausgebreiteten Händen auf mich zu. »Ich habe seit Sonnenaufgang hier gewartet, weil ich so sehr hoffte, dass du vielleicht herkommst! Ich muss unbedingt mit dir sprechen!«
Ich versteifte mich abwehrend. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück, als sie noch näher kam und schließlich außer Atem vor mir stehen blieb.
»Was willst du?«, fuhr ich sie an. »Etwa dich dafür entschuldigen, dass du Sebastiano umbringen wolltest?« Als sie etwas sagen wollte, hob ich die Hand. »Lüg mir ja nichts vor! Das Mittel war vergiftet! Und du wusstest genau, dass es für Sebastiano war! Du hast dich verraten! Du sagtest: Er muss alles auf einmal trinken! Aber ich hatte mit keinem Wort gesagt, dass ich das Mittel für ihn brauchte! Woher wusstest du es?«
»Weil Alvise es mir gesagt hat.«
Völlig entwaffnet von diesem unerwarteten Geständnis starrte ich sie an. Sie erwiderte meinen Blick mit geröteten Augen. Ihr war anzusehen, dass sie geweint hatte.
»Er kam zu mir und sagte, er hätte Sebastiano in der Zukunft mit dem Dolch erwischt. Er meinte, es könne gut sein, dass du vorbeikämst, um ihm eine Medizin zu besorgen. Und er befahl mir, Gift hineinzutun.«
Mir klappte der Mund auf, als ich diese Ungeheuerlichkeit hörte. Zu einem Mordkomplott aufgefordert zu werden, war eine Sache. Bereitwillig mitzumachen, eine andere!
»Natürlich tat ich es nicht«, fügte Clarissa hinzu.
»Du lügst«, widersprach ich anklagend. »Er wäre jetzt tot, wenn nicht versehentlich die Vermieterin das Mittel zu sich genommen hätte! Sie trank nur einen Becher und hat rund um die Uhr geschlafen!«
»Ist sie klein und dünn?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Wäre sie groß und kräftig, so wie Sebastiano, hätte sie ruhig alles trinken können, aber dennoch nicht länger geschlafen. Es war genau abgemessen. Eine Dosis, die einen großen kräftigen Mann für
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