Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
verzierte Zimmerdecke. Und ich fragte mich, ob ich eigentlich komplett den Verstand verloren hatte. Ich war in Viscount Arlingtons Haus! Freiwillig hatte ich mich wieder in das Haus des Mannes begeben, der mit dem Baron of Travisham, meinem Schänder und Mörder, paktiert hatte.
Nun gut, Arlington hatte mich vor dem Feuer gerettet. Aber mir war absolut schleierhaft, warum er das getan hatte. Und weshalb hatte er mich tagelang – oder waren es sogar Wochen – beobachtet?
Schwungvoll stand ich vom Bett auf. Es wurde Zeit, dass ich Antworten auf meine Fragen bekam. In einer Zimmerecke entdeckte ich auf einem Lehnstuhl ein elegantes Samtkleid, das Arlington in der ihm üblichen Umsicht in Modefragen dort platziert hatte. Ich blickte an mir herunter. Mein Kleid hatte unter den Strapazen der letzten Tage und der Flucht vor dem Feuer mehr als gelitten. Es wies Flecken und mehrere große Risse auf und legte ziemlich viel Haut frei. Nachdenklich sah ich wieder auf das Samtkleid auf dem Stuhl. Ich war überzeugt davon, dass es mir tadellos passen würde.
Dann schob ich entschlossen das Kinn vor. Ich würde mich nicht umziehen und von Arlingtons modischen Geschenken verblenden lassen. Das hatte ich schon einmal getan und es hatte zu nichts Gutem geführt. Ich konnte den Viscount genauso gut in meinem zerrissenen Kleid zur Rede stellen.
Zielstrebig verließ ich das Zimmer und machte mich auf die Suche nach Arlington. Da ich ihn im Haus nirgendwo entdecken konnte, fragte ich schließlich eine Dienerin. Sie erklärte mir, dass der Viscount irgendwo draußen einen Spaziergang machen wollte.
Ich durchstreifte das Grundstück. Die Gartenanlagen waren riesig und äußerst geschmackvoll angelegt. Augenscheinlich hatte Arlington einen sehr talentierten Gärtner in seinen Diensten. Hinter den Gärten wurde das Terrain ein wenig hügelig. Ein schmaler Weg führte in einen angrenzenden kleinen Wald. Ich folgte dem Weg. Innerhalb des Waldes stieß der Weg recht bald auf den von Arlington erwähnten Kilburn River, eher ein größerer Bach als ein reißender Fluss, und verlief von da an parallel zu dem Flüsschen. Nach einer Weile wurde ich ungeduldig, da ich den Viscount nirgendwo entdecken konnte und überlegte, ob ich nicht lieber querfeldein laufen sollte. Dann blieb ich jedoch abrupt stehen.
Nur wenige Schritte vor mir stand Arlington mit freiem Oberkörper im Bach und wusch sich. Er stand mit dem Rücken zu mir und hatte mich daher noch nicht bemerkt. Fasziniert beobachtete ich, wie die glitzernden Wassertropfen langsam seinen muskulösen Rücken herunter rannen. Ich entdeckte auch einige Narben auf seiner Haut und fragte mich, wo diese wohl herrührten. Dann schien er mich bemerkt zu haben und drehte sich zu mir um. Seine Brust war nicht minder muskulös als sein Rücken. Er bedachte mich mit einem spöttischen Blick.
»Ah, meine Teuerste«, begrüßte er mich neckend. »Wie ich sehe, habt Ihr Euch noch gar nicht umgezogen. Gefiel Euch das Kleid nicht?«
»Das tut nichts zur Sache!«, schnaubte ich. »Ihr seid mir ein paar Erklärungen schuldig!«
Arlington hob spöttisch lächelnd die Augenbrauen. »Erklärungen, warum ich Euch gerettet habe? Oh, das war purer Altruismus.«
Nun übermannte mich mein Zorn. Ich stürzte mich auf ihn. Er muss das vorausgesehen haben, denn plötzlich standen wir beide völlig durchnässt in dem Bach und Arlington hielt meine Hände im eisernen Griff hinter meinem Rücken fest.
»Ihr habt immer noch nicht gelernt, Euer Temperament zu zügeln«, sagte er mit glitzernden Augen, während um seinen Mund ein amüsiertes Lächeln spielte.
»Ihr wisst, was für Erklärungen ich meine!«, presste ich zwischen den Zähnen hervor. »Was ist mit Travisham?«
Er tat, als müsste er einen Moment überlegen. »Der Baron of Travisham? Oh, der ist seit geraumer Zeit tot.«
»Das habt Ihr schon einmal behauptet!«, zischte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien.
Arlington hielt mich weiterhin mühelos fest. »Diesmal stimmt es aber«, erklärte er ruhig.
Ich kniff die Augen zusammen. »Warum sollte ich Euch das glauben?«
Er seufzte. »Ich mache Euch einen Vorschlag: Ihr versprecht, dass Ihr keinen weiteren Versuch starten werdet, mir die Augen auszukratzen, und ich werde Euch loslassen. Wir werden uns beide zunächst etwas zivilisiertere, und vor allem: trockenere, Kleidung anziehen. Dann werden wir uns hier zu einem gesitteten Spaziergang wiedertreffen und ich werde Euch alles
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