Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
um Infizierte aufzuspüren und in die Lazarette bringen zu lassen. Die Pestärzte trugen zum Schutz gegen die Ansteckung Schnabelmasken, lange weite Mäntel und Lederhandschuhe. Obwohl ich mich nicht infizieren konnte, staffierte auch ich mich entsprechend aus, um weniger aufzufallen.
Kein Mensch fragte nach irgendwelchen Referenzen, als ich meine Dienste in den Lazaretten zur Verfügung stellte. Die Epidemie hatte inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass jegliche Hilfe ungeprüft in Anspruch genommen wurde. Viele der Männer, die in den Straßen als Pestärzte unterwegs waren, besaßen auch keinerlei Ausbildung oder Qualifikation, sondern waren nur eilig in ihre Arbeit eingewiesen worden.
Die Leichenkutscher kamen mittlerweile kaum noch mit dem Einsammeln der Toten nach und in etlichen Gassen stapelten sich die Leichen fast haushoch. Londons Einwohner wurden von der Regierung aufgefordert, Pfeffer, Hopfen und Weihrauch zu verbrennen, um den Pestgeruch zu vertreiben und die Ansteckungsgefahr zu bekämpfen. Auch an den Straßenkreuzungen errichtete man große Feuerstellen, um die Luft zu reinigen.
Die Arbeit in den Lazaretten drückte bleiern auf mein Gemüt. Die Kranken hatten zunächst Fieber und immer stärker werdende Schmerzen. Oftmals bekamen sie später Bewusstseinsstörungen und viele schrien vor Schmerzen und Wahnvorstellungen. Ihre geschwollenen, schmerzenden Lymphknoten wuchsen zu hässlichen Pestbeulen, die aufgeschnitten wurden, um Eiter und Blut abfließen zu lassen. Wo dies nicht geschehen war, verbreitete sich die Infektion über das Blut rasch im ganzen Körper und der Kranke starb bereits innerhalb von eineinhalb Tagen. Ich fragte mich, ob diese Menschen nicht fast besser dran waren, als ich sah, wie sehr die behandelten Kranken litten.
Ich kam oft tagelang nicht dazu, auf die Jagd zu gehen, doch das machte mir nichts aus. Ich hatte mittlerweile meinen Durst ganz gut unter Kontrolle und das Elend um mich herum war auch nicht dazu angetan, meinen Appetit sonderlich zu fördern.
Zum Winter hin schien die Epidemie ein wenig abzuklingen und im Februar 1666 traute sich auch Charles II. mit seinem Hofstaat wieder in die Stadt zurückzukehren. Doch gab es auch im weiteren Verlauf des Jahres nach wie vor Infizierte und die Pest forderte weiterhin ihre Todesopfer. Daher ging ich tagsüber meiner Arbeit in der Anwaltskammer nach und setzte nachts anonym meinen Dienst in den Lazaretten fort.
Da die Schutzkleidung, die ich immer noch jedes Mal trug, sehr warm und unbequem war, hatte ich mir angewöhnt, darunter statt meiner üblichen Männerkleidung ein leichtes Kleid ohne Unterröcke zu tragen. Es war für mich bequemer und luftiger und wurde unter dem langen schweren Mantel ohnehin von niemandem wahrgenommen.
So verging ein weiterer heißer Sommer, und als ich in einer Septembernacht meinen Dienst in einem Lazarett in Blackfriars verrichtete, kam mir die Kunde zu Ohren, dass im nahegelegenen Billingsgate ein Feuer ausgebrochen sei. Ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken, da es öfter mal kleine Brände in London gab, erst recht, seitdem zur Bekämpfung der Pest viele öffentliche Feuerstellen eingerichtet worden waren.
Doch das Feuer wurde auch in den nächsten zwei Tagen nicht eingedämmt und in der übernächsten Nacht hatte es sich über die während des heißen Sommers stark ausgetrockneten Dachstühle bereits massiv ausgebreitet. So sah ich mich plötzlich einer haushohen Feuersbrunst gegenüber, als ich das Lazarett bei der St. Paul’s Cathedral verließ. Die Pflastersteine glühten rot vor Hitze und das Blei aus der Kuppel von Saint Paul’s rann in geschmolzenen Bächen herunter.
Ich wandte mich nach links Richtung Ludgate Hill, doch auch hier schlugen mir bald turmhoch die Flammen entgegen. Panisch entledigte ich mich in der glühenden Hitze meiner Pestschutzkleidung. In dem Chaos, das um mich herum herrschte, achtete sowieso niemand darauf, dass eine Frau im Kleid darunter zum Vorschein kam.
Auch in zwei weiteren Seitenstraßen, die ich ausprobierte, schnitt mir das Feuer den Weg ab. Die Angst kroch in mir hoch. Wie gelähmt starrte ich auf die züngelnden Flammen, die mir unaufhaltsam entgegentrieben.
»Gemma!«, hörte ich plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir laut meinen Namen rufen. Ich drehte mich um und versteinerte.
Ein paar Schritte entfernt saß Arlington auf einem Hengst, der sich gerade trotz Scheuklappen vor den unweiten Flammen aufbäumte. Mühelos
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