Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)
arme Opfer nie mitbekam, wann ihm was gestohlen wurde. Plötzlich erweckte etwas an der gegenüberliegenden Seite des Platzes meine Aufmerksamkeit. Dort stand wieder der weißblonde Unbekannte aus dem Theater und starrte zu uns herüber. Ich stieß Giles vorsichtig an. »Da ist er wieder«, sagte ich leise.
Arlington sah mich an und folgte meiner Blickrichtung. Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich.
»Komm!«, sagt er dann barsch zu mir und zog mich mit sich. »Lass uns gehen.«
Erstaunt sah ich ihn an. Giles war noch nie unhöflich zu mir gewesen, doch im Moment schien er zu keiner Diskussion bereit.
»Du kennst den Mann.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage von mir, als ich neben Giles hereilte. Doch bevor er antworten konnte, tauchte der Weißblonde plötzlich vor uns auf und schnitt uns gewissermaßen den Weg ab. Zumindest hätten wir uns nicht ohne großes Aufsehen an ihm vorbeidrängen können.
»Arlington!«, begann der Weißblonde mit affektierter Stimme. »Welch unerwartete Überraschung, dich hier in Oxford anzutreffen! Willst du mich der Dame nicht vorstellen?« Er musterte mich neugierig.
»Ich glaube kaum, dass du der geeignete Umgang für die Dame bist«, erwiderte Giles grimmig.
»Tz, tz, wie unhöflich« Der Weißblonde tätschelte Giles tadelnd mit seinen Handschuhen. »Dabei bist du doch sonst für deine guten Manieren bekannt. Nun denn, dann darf ich mich wohl selbst vorstellen.« Er macht einen übertriebenen Kratzfuß vor mir. »Gestatten: Beauregard Monckton, siebter Viscount Whitfield.«
Ich öffnete den Mund, um ihm zu antworten, doch Giles schnitt mir das Wort ab. »Dennoch werde ich sie dir nicht vorstellen!«
»Aber Arlington!«, Whitfield kicherte amüsiert. »Als ob das nötig wäre. Natürlich haben wir über Miss Winwood schon unsere Erkundigungen eingezogen.«
Ich sah Whitfield verunsichert an.
»Es ist ziemlich egoistisch von dir, Miss Winwood ganz für dich alleine zu beanspruchen«, fuhr der Weißblonde mit einem vorwurfsvollen Lächeln fort. »Weiß sie überhaupt, welche Möglichkeiten sich ihr offenbaren würden, wenn sie sich uns anschließen würde? Aber sicherlich hast du sie gar nicht darüber informiert, sondern ihr von vorneherein deine Lebensart aufgezwungen.« Er schüttelte missbilligend den Kopf.
»Das brauchte ich gar nicht«, antwortete Giles gefährlich leise. »Sie hat sich aus freien Stücken so entschieden. Und nun würde ich dir empfehlen, ohne viel Aufhebens den Weg freizugeben!«
Whitfield gab kichernd den Weg frei. »Arlington, du bist immer noch der alte Spielverderber! Aber vielleicht kommen wir euch einmal besuchen, um Miss Winwood unsere Aufwartung zu machen! Denn du weißt ja, mein werter Arlington: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.«
Auf der Heimfahrt in der Kutsche starrte Giles mit düsterem Blick aus dem Fenster. Nach einer Weile durchbrach ich das Schweigen. »Wer ist dieser Whitfield?«, fragte ich drängend. »Warum hat er Erkundigungen über mich eingezogen? Und was meint er mit ›sich uns anschließen‹?«
Giles schloss kurz verbittert die Augen, dann antwortete er mir. »Ich hatte gehofft, dass ich dir das ersparen könnte. Aber ich hätte auch nicht gedacht, dass Whitfield sich in Oxford aufhält.« Giles wandte sich mir mit ernstem Gesicht zu und ich bemerkte seine angespannten Kiefermuskeln.
»Beauregard Monckton ist das Oberhaupt der englischen Sybarites de Sang, der ›Genießer des Blutes‹«, fuhr er dann fort, »Die Sybarites sind eine weltweit verbreitete Sekte von Vampiren, die ihren Ursprung in Frankreich hat. Die ganze Hingabe der Sybarites gilt einem luxuriösen Lebensstil und ihr ganzes Trachten dem Genuss menschlichen Blutes. Sie töten nicht einfach nur wahllos Menschen, wenn sie Durst haben. Es ist ihnen wichtig, vor allem junge und attraktive Opfer aufzutun und sie inszenieren den Tötungsakt als opulentes Schauspiel. In der Regel dauert es immer mehrere Tage, während derer sie im Rahmen einer makabren Orgie immer nur ein bisschen von ihren Opfern trinken und so deren Qual auf das grausamste verlängern, bis sie sie am Ende schließlich töten.«
Zum ersten Mal seit meinem Vampir-Dasein hatte ich das Gefühl, dass so etwas wie Übelkeit in mir hochstieg. Ich sah Giles gespannt an, als dieser fortfuhr. »Die Sybarites verachten die Menschen. Sie halten sie für eine minderwertige Rasse. Ebenso verachten sie uns, weil wir dem menschlichen Blut entsagen. Sie halten uns für Schwächlinge,
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