Zeitgenossen - Kampf gegen die Sybarites (Bd. 2) (German Edition)
Da die Marquise d'Elineau in unserer Runde das älteste Mitglied war, konnte sie uns natürlich am meisten erzählen. Über die Menschen, die in den Diensten der Sybarites standen, wusste sie nicht so viel zu berichten, da sie mit der Comtesse de Garandout, die als Maîtresse de Recrutement die Kontakte zu menschlichen Handlangern organisierte und überwachte, auf weniger vertrautem Fuß stand. Dafür konnte sie uns einiges über die Interessen und Unternehmungen der Sybarites verraten, denen wir alle mit unserer Vertragsunterschrift oberste Priorität zugesichert hatten.
Ihren Schilderungen zufolge hatte Francisco mit seiner Vermutung offenbar recht gehabt, dass die Sybarites keine direkten politischen Ambitionen hatten, da sie sich den Menschen ohnehin überlegen fühlten. Sie erachteten die Menschen als derart nichtig, dass sie keinen Ehrgeiz verspürten, ihnen eine öffentliche Herrschaft aufzuzwingen. Umgekehrt fühlten sie selbst sich aber auch keiner menschlichen herrschenden Macht oder Regierung verpflichtet.
Das Vergnügen, der Genuss qualitativ hochwertigen Blutes und die Erfüllung sinnlicher Bedürfnisse standen bei den Sybarites im Vordergrund, hierfür nahmen sie sich von den Menschen, was sie wollten. Sie nahmen ihr Blut, ihr Leben, ihre Dienste, ihre Unschuld, wann und wo immer ihnen danach zumute war. Dennoch zogen sie es vor, dabei nicht zu auffällig vorzugehen. Denn dadurch, dass sie ihren Neigungen im Verborgenen nachgingen, pflegten sie den Mythos um die Existenz von Vampiren, was bei den Menschen Angst hervorrief. Würden die Sybarites offen über die Menschen herrschen wollen, würde dies vielleicht früher oder später eine Rebellion provozieren. Durch Angst hingegen waren die Menschen besser zu kontrollieren.
Darum ließen die Sybarites hin und wieder auch eines ihrer Opfer davonkommen. Auf diese Weise konnte das Opfer anderen von seinen schrecklichen Erlebnissen erzählen und den Vampir-Mythos weiter schüren. Allerdings achteten sie darauf, dass dies unter streng kontrollierten Bedingungen vonstattenging. Deswegen mussten sich auch alle Mitglieder mit ihrem Leben für ihr Stillschweigen verbürgen. Verstöße gegen die Regeln der Sybarites wurden von ihnen unerbittlich geahndet.
An dieser Stelle hakte ich nach. »Ihr hattet vorhin bereits erwähnt, dass Ihr mit einem Versuch, den Sybarites zu entkommen, Euer Todesurteil unterschrieben hättet«, fragte ich Madame d'Elineau, »und wir alle mussten uns ja vertraglich mit unserem Leben verpflichten. Was bedeutet dies konkret? Werden sie versuchen uns umzubringen, falls wir vertragsbrüchig werden?«
Madame d'Elineau sah mich ernst an. »Sie werden es nicht nur versuchen. Sie werden Euch hinrichten. Sie inszenieren das Ganze als spektakuläre Gerichtsverhandlung, genannt Chambre Ardente , verurteilen Euch und lassen dann die Mort-Vivants das Urteil vollstrecken. In zwei Wochen könnt Ihr in den zweifelhaften Genuss eines solchen Schauprozesses mit anschließender Hinrichtung kommen.«
»Auf welche Weise vollstrecken die Mort-Vivants das Urteil?«, fragte Francisco argwöhnisch.
»Sie beißen den Verurteilten. Für einen normalen Vampir ist der Biss eines Mort-Vivants tödlich. Der Gebissene altert innerhalb weniger Minuten, bis sein Körper komplett zerstört ist.«
Diese Schilderung schockierte uns alle gleichermaßen. Entsprechend beunruhigt sahen wir alle der Gerichtsverhandlung entgegen, der wir in zwei Wochen beiwohnen mussten.
Zuvor stand allerdings noch ein Ausflug auf dem Monatsprogramm der Sybarites. Es war eine Bootsfahrt auf der Seine entlang bis nach Melun geplant und dann sollte am Abend im dortigen Schloss Vaux-le-Vicomte ein Maskenball stattfinden. Wenn wir nicht immer wieder aufs Neue mit den Grausamkeiten der Sybarites konfrontiert würden, hätte man meinen können, dass wir Mitglieder eines unterhaltsamen Freizeit-Clubs waren.
Gemeinsam mit anderen Sybarites stiegen wir in Paris in eine große, blumengeschmückte Barque à Rames, ein langgestrecktes Ruderschiff, bei dem im hinteren Bereich die Rudermannschaft untergebracht war und im vorderen Bereich den Passagieren auf wertvollen Kissen und Teppichen reichlich Platz geboten wurde. Die Rudermannschaft brachte uns erstaunlich kraftvoll voran und so fuhren wir in relativ zügigem Tempo die Seine hinauf. Die Sonne schien strahlend vom Himmel, die Landschaft bot einen malerischen Anblick und vereinzelt standen Kinder am Ufer und winkten unserer vorbeifahrenden
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