Zeitreise ins Leben (German Edition)
dass ich blind hätte sein müssen. Aber es wird hier nicht gerade einfach für dich, vielleicht sogar sehr gefährlich. Und was dein Herz angeht, meine Liebe, da steht dir noch viel Schönes bevor.“ Ihre Worte klangen wunderbar und za u berten ein Lächeln auf mein Gesicht. „Dein Herz hat sehr viel Platz für Liebe“, meinte sie dann noch und sagte es eher wie eine Rüge, als ein Kompliment. Doch als ich nachfragte, schütte l te sie nur den Kopf . Sie wollte nicht mehr darüber reden und ich mich sowieso vom Schicksal überraschen lassen.
Meine Genesung ging schnell voran. Bruder Bonifazius tat sein Bestes, um mich rasch auf die Beine zu bringen. Seine Kräuter wirkten wahre Wunder und seine Gespräche waren Balsam für meine Seele. Wir unterhielten uns über den Glauben, das karge Mönchsleben und s o gar über die Liebe ... worüber Bonifazius erstaunlich viel zu erzählen wusste.
„Es ist nicht wichtig, ob man diese Liebe körperlich vollziehen kann, Kind. Wichtig ist, sie in seinem Herzen zu spüren, sie mit anderen zu teilen, zu hüten und zu beschützen. Die Li e be ist das höchst Gut des Lebens, der teuerste Schatz und der wertvollste Besitz. Selbst uns e re Sprache zollt ihr Respekt, indem sie das lebe nur mit einem i von dem liebe trennt.“ Wie i m mer hörte ich ihm gebannt zu und nahm jedes seiner Worte tief in mir auf. In seinem U m gang mit mir war er inzwischen wie ein väterlicher Freund geworden, der gerne und mit schelm i schem Augenzwinkern sein Wissen mit mir teilte. Genau solche, bereichernden G e spräche hatte ich schon lange vermisst. Philosophie und Religion waren richtige Schätze des Lebens – egal, ob man nun gläubig war oder nicht. Es war die Suche nach dem höheren Sinn und nach der Schönheit des Lebens, die ich offenbar unbewusst in die thematische Ecke des Rittertums geschoben hatte. Wirklich fündig war ich allerdings nicht bei Rittern in schimmernder Rü s tung geworden, sondern beim einfachen Leben in St. Nimmerlein.
Der Abschied fiel mir entsprechend schwer und sogar Bonifazius wirkte zerstreut und au f geregt. Als ich den lieben Freund zum Abschied leicht umarmte, war ihm das vor seinen Brüdern natü r lich sehr unangenehm. Er bekam einen hochroten Kopf und deutete energisch, dass ich als Frau hier ein wenig Zurückhaltung üben müsste. Ich lächelte ihn an, denn in seinen Augen stand mehr Schalk als wirkliche Rüge. Zu einem geeigneten Zeitpunkt steckte er mir dann sogar ein kleines Geschenk zu und als ich es genauer betrachtete, staunte ich nicht schlecht , als ich eine wundervoll handgefertigte Miniaturausgabe der Bibel in Händen hielt . N icht größer als ein halbes Taschenbuch meiner Zeit. Sie war mit Sicherheit nicht vol l ständig, weil sie sonst zu dick geworden wäre, aber sie war in jahrelanger, mühseliger Arbeit von Bon i fazius höchstpersönlich angefertigt worden. Es war ein unglaublich wertvoller Schatz und kra s ser Gegensatz zu den riesigen Werken, die zu dieser Zeit eigentlich üblich waren . Alleine die Größe war also eine Sensation, wurde aber durch die liebevolle, gestalterische Au s fert i gung noch einmal so wertvoll. Bücher waren in dieser Zeit eine Seltenheit und eines wie dieses vermutlich unbezahlbar . Ich bedankte mich unzählige Male, versuchte aber die Tränen zurückzuhalten, um ihm weitere Peinlichkeiten zu ersp a ren.
Auf Tsor gab es einen kleinen Empfang für uns und die Freude über unser Heimkommen war so groß, dass sie uns zu Ehren ein richtiges Festmahl auftischten. Sie hatten sich alle mäc h tig ins Zeug gelegt und sogar mit Musik aufgewartet. Wir erzählten in groben Zügen die Erei g nisse, waren aber in erster Linie darum bemüht, niemand die gute Laune zu verderben. D a nach lag ich glücklich und erschöpft im Bett, zupfte vorsichtig meinen Verband zurecht und fühlte mich rundum geborgen und sicher. Ich hatte das Gefühl, ins schützende Nest zurüc k gekehrt zu sein . V iele Fragen waren noch offen, aber ich nahm mir die Freiheit, nicht alles auf einmal klären zu müssen. Hier auf Tsor standen mir noch zwei Monate Ruhe und Abgeschi e denheit bevor. Vielleicht war nun endlich die Zeit gekommen, wirklich über mein Leben nac h zudenken, anstatt es noch einmal aufs Spiel zu setzen. Nur dieser rätselhafte Mann spukte weiterhin in meinem Kopf herum. Ohne ihn w ä ren wir nie entkommen ... hallte es, wohl zum tausendsten Mal,
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