Zeitreisende sterben nie
zusammen. Dave meinte, sie sollten sich eine Möglichkeit überlegen, um einen Abend mit Mark Aurel zu verbringen. Shel wusste nicht, wer das war, aber als Dave ihn aufklärte, war er einverstanden.
Shel wollte Michelangelo treffen. »Vorzugsweise in jungen Jahren, ehe er berühmt wurde. Vielleicht erwischen wir ihn zu der Zeit, zu der er in Rom eintrifft.«
Gut. Was sonst?
Dave inspizierte sein Bier. »Ich würde gern auf Mark Twains Mississippidampfer fahren.«
»Einverstanden«, sagte Shel und machte eine Notiz. »Ich möchte den Kometen von 1811 sehen.«
»Ein großer Komet, richtig?«
»Enorm groß. Zwei Schweife.«
»Schreib's auf.«
»Weißt du, was ich außerdem noch gern täte?«
»Was, Shel?«
»Sokrates. Ich wäre gern beim letzten Dialog dabei.«
»Du meinst, als er den Schierlingsbecher trank?«
»Ja.«
»Ich dachte, wir wollten dem Töten und dergleichen aus dem Weg gehen.«
»Das ist etwas anderes. Er hat in diesen letzten Stunden über Leben und Tod gesprochen. Es wird schmerzlich, und mein Griechisch ist nicht so gut, aber ...«
»Okay.«
Shel trug auch das ein und blickte auf. »Was noch?«
Dave trank einen kräftigen Schluck Bier. »Mit Kit Carson reiten.«
»Du? Ich habe dich schon mal auf einem Pferd bewundern dürfen.«
»Ich werde es lernen.«
»Okay.« Er notierte es.
Shel dachte, er hätte Freude an einem Abend mit Charles Darwin.
Dave wollte Lord Byron kennenlernen.
»Da wir gerade davon reden, Leute kennenzulernen«, sagte Shel, »ich verrate dir, wen ich am liebsten kennenlernen würde.«
»Wen?«
»Leonidas. Ich würde ihm gern auf dem Weg zu den Thermopylen begegnen.«
Und so ging es weiter. Sie notierten Ideen und Namen, und schließlich waren sie bei Ben Franklin.
Dave schob sein leeres Glas weg. »Ja«, sagte er, »das würde mir gefallen. Aber wie sollen wir an ihn herankommen?«
»Dürfte nicht schwer sein. Wie sind wir denn an Tom Paine herangekommen? Wir müssen uns was ausdenken.«
Der erste Schritt war eine Reise nach London im Oktober 1726, wo sie sich eine Ausgabe von Gullivers Reisen holen wollten, das gerade erst herausgekommen war. Sie suchten Carleton's Buchhandlung in der Nähe des Regent Parks auf. Der Verkäufer, der augenscheinlich auch der Eigentümer war, verriet ihnen, sie hätten Glück gehabt, da er das Buch nicht bestandsmäßig führen könne. »Eines ist noch übrig«, sagte er. »Ich gebe zu, ich verstehe das Buch nicht, aber es weckt viel Aufmerksamkeit.« Er war um die sechzig, sympathisch und hatte gewaltige Augenbrauen.
Nur war das Buch nicht da, nicht im mittleren Fach der Prosa, wo er es vermutet hatte. Er musste die Brille wechseln und sich auf die Suche machen. Shel half ihm, und sie gingen gemeinsam die Romanfächer durch. »Ich war sicher«, verkündete der Verkäufer, »dass ich es hier einsortiert habe.«
Es fand sich in zwei Bänden gut sichtbar im vorderen Bereich des Ladens. Er wechselte die Brille, nahm sie aus dem Regal und reichte sie Shel.
»Könnte Bifokalgläser brauchen«, kommentierte Dave.
»Pardon?«, fragte der Verkäufer.
»Nichts von Bedeutung«, sagte Dave.
Franklin stand zu diesem Zeitpunkt natürlich noch am Beginn seiner Karriere. Aber Hilfe war unterwegs.
Die Bücher waren in Samt gebunden und anonym veröffentlicht worden.
»Was verstehen Sie daran nicht?«, fragte Dave den Verkäufer.
»Was die ganze Aufregung bedeuten soll. Da gibt es kleine Leute. Riesen. Sprechende Pferde. Das ist ein Kinderbuch.« Er wechselte erneut die Brille. »Kein Wunder, dass der Autor seinen Namen nicht nennt. Ich hätte es auch nicht getan.«
Im Jahr 1727 hatte Franklin die Junto gegründet, eine Gruppe, bestehend aus zwölf Freunden, die sich in Philadelphia in der Indian King Tavern an Freitagabenden zusammenfand, um über Philosophie, Politik, Ethik und was immer sonst ihrer Aufmerksamkeit wert schien zu diskutieren. Nichtmitgliedern war, soweit Shel es beurteilen konnte, die Teilnahme an diesen Treffen verwehrt. Aber sie fanden in einem Lokal statt.
Etwas weiter unten an der Straße, an der die Taverne lag, trafen sie am Freitagabend, den 19. Januar 1728, um Viertel vor sieben ein. Shel führte die erworbene Ausgabe von Gullivers Reisen, eingewickelt in eine Papiertüte, mit sich.
Es war kalt. Sie hörten die Taverne, bevor sie sie sahen. Da waren Musik, gespielt auf einem Saiteninstrument, und lautes Gelächter und ein kräftiges Hopfenaroma. Kerzen flackerten fröhlich in den Fenstern. Als sie sich
Weitere Kostenlose Bücher