Zeitreisende sterben nie
an.
»Ja?«
»Das wird ein Schock für dich sein.«
Sie runzelte die Stirn. »Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, er wäre schon verheiratet gewesen?«
»Nein. Nichts in der Art.«
Ein weißer Umschlag lag auf dem Tisch. Daves Name stand in Shels präziser Handschrift auf der Vorderseite. Er riss ihn auf, aber erst, nachdem sie ihn gesehen hatte.
»Nur eine Liste der Dinge, die ich erledigen muss.« Er steckte ihn in die Tasche. »Wie wäre es mit einem Kaffee?«
»Klar. Klingt gut.«
»Ein Instantkaffee wird reichen müssen.« Er ging zurück in die Küche und stellte einen Kessel mit Wasser auf den Herd.
Sie folgte ihm. »Tust du so was häufig?« »Was?«
»Dir selbst schreiben?«
»Das ist die Liste der anstehenden Aufgaben. Das erste am Morgen.«
Sie nahm zwei Tassen aus dem Schrank. »Was wird ein Schock für mich sein?«
»Gib mir eine Sekunde«, sagte er. »Ich bin gleich wieder da.« Er schlüpfte zur Tür hinaus und öffnete den Umschlag.
Lieber Dave,
ich weiß nicht recht, wie ich es dir sagen soll. Ich muss über das, was geschehen ist, nachdenken und mir überlegen, wie es weitergehen soll. Ich möchte nichts unnötig überstürzen, das verstehst du sicher.
Ich weiß, das war nicht leicht für dich, aber ich bin froh, dass du da warst. Danke.
Shel
PS: Ich habe den größten Teil meiner Habe der Leukämiestiftung hinterlassen. Das wird vermutlich ein halbes Dutzend Klagen meiner Verwandten provozieren. Aber sollte es Anzeichen dafür geben, dass einer dieser Geier damit durchkommt, dann komme ich persönlich zurück und kümmere mich darum.
Dave las den Brief ein Dutzend Male. Dann knüllte er ihn zusammen, steckte ihn in die Tasche und ging zurück in die Küche.
Helen starrte zum Fenster hinaus. Normalerweise tummelten sich Blauhäher und Eichhörnchen auf dem Grundstück, aber im Moment war keines der Viecher in Sicht. »Es ist schön hier«, sagte sie. »Also, warum hast du mich hergebeten?«
»Heiliges Kanonenrohr«, sagte er. »Ich bin rausgegangen, um es zu holen, und hab's vergessen.« Er schlug vor, dass sie sich ein wenig entspannte, »während ich etwas hole«. Und schon hastete er die Treppe hinauf auf der Suche nach einer Idee.
Der Kleiderschrank diente zugleich als eine Art Museum. Er enthielt allerlei Dinge, die sie von ihren Reisen mitgebracht hatten, Gegenstände von unschätzbarem Wert, aber nur, wenn man wusste, wo sie herkamen. Da war ein Sextant, entworfen und erbaut von Leonardo, ein silberner Armreif, der einmal Calpurnia gehört hatte, eine Folio-Ausgabe von Jean Racines Andromache, eine Taschenuhr, die Leo Tolstoi getragen hatte, als er Krieg und Frieden geschrieben hatte. Und dann waren da noch Fotos von Martin Luther und Albert Schweitzer und Perikles und Francesco Solimena. Alle mehr oder weniger wertlos.
Er brachte es nicht über sich, Helen Calpurnias Armband zu geben, ohne ihr erzählen zu können, was es war.
Stattdessen entschied er sich für ein goldenes Medaillon, das er im fünften Jahrhundert vor Christi von einem Händler in Theben erworben hatte. Es erinnerte an eine Schlange. Ein apollonischer Priester hatte behauptet, es handele sich um Diebesgut. Einmal, so hatte er gesagt, hatte es Asklepios, dem göttlichen Doktor, gehört, der so gut gewesen war, dass er sogar die Toten geheilt hatte. Er hatte seine Behauptung untermauert, indem er Dave anbot, ihm das Medaillon abzukaufen. Für den sechsfachen Preis dessen, was Dave bezahlt hatte.
Er brachte es nach unten und überreichte es Helen mit den Worten, Shel hätte ihn gebeten, dafür zu sorgen, dass sie es bekäme, sollte ihm irgendetwas zustoßen. Ihre Wangen glühten, und sie drehte es wieder und wieder zwischen den Fingern und konnte gar nicht genug kriegen. »Es ist wunderbar«, sagte sie. Und wieder kamen ihr die Tränen.
Sollten dem Ding irgendwelche Heilkräfte innewohnen, Dave hätte sie in diesem Moment gut brauchen können.
Regen beherrschte die Welt. Ganz allmählich legte sich ein düsterer Schleier über die Fenster und verbarg die Welt da draußen vor ihren Augen. »Da kommen bestimmt hundertfünfzig Millimeter runter, ehe es aufhört«, sagte er zu ihr. Der Wetterkanal sagte allerdings nur fünfzig voraus.
Er schaltete Musik ein. Sie stand neben den Vorhängen und nippte an einem Glas Chablis. Sie hatten ein Feuer angezündet, das nun behaglich im Kamin knisterte. Dave fügte Mozart hinzu und hoffte, der Sturm würde noch lange andauern.
Scheinwerfer krochen vorbei,
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