Zeitriss: Thriller (German Edition)
angewehte Laub zu ordentlichen Häuflein zusammenkehren und auf kleine Schubkarren schaufeln. Minuten vergingen, in denen sie das Schlimmste fürchtete. Vor Wut und Enttäuschung hätte sie am liebsten laut geschrien, doch das ziemte sich für eine kaiserliche Gemahlin nicht. Stattdessen stand sie auf, strich ihr Kleid glatt und wandte sich ab. »Entfernt den Toten«, sagte sie. »Ich will, dass er bei Sonnenuntergang verbrannt wird.«
Als sie in das sonnige Wetter hinaustrat, fühlte sie sich wie betäubt. All ihre Pläne waren zerstoben – alles, worauf sie sich verlassen hatte, war zerstört. Es war Zeit, sich neu zu besinnen; Zeit, mit Prinz Kung zu sprechen, um zu retten, was zu retten war.
Plötzlich hörte sie Gengjuns aufgeregte Stimme. »Edle Kaiserliche Gemahlin, kommt schnell!« Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus, bevor sie sich herumdrehte. »Der Patient bewegt sich. Ich kann es nicht glauben. Er atmet wieder!«
Cixi eilte an das Bett des Totgeglaubten. »Ich wusste, Ihr würdet mich nicht im Stich lassen«, flüsterte sie an seinem Ohr. Sie drückte sanft die Wange an seine und spürte seine gekräftigte Atmung.
Mit blutverkrusteten Fingern tastete er nach ihrer Hand. Die Schnittwunden schlossen sich bereits. Wie es schien, war der Blauäugige von den Toten zurückgekehrt.
48.
Peking, China
Verbotene Stadt
Palast der Gesammelten Eleganz
13. Oktober 1860
Ortszeit: 11.55 Uhr
Unternehmen Esra – Tag 224
Es dauerte vier Tage, bis Randall wieder gesund war. Den ersten halben Tag musste er noch im Bett liegen bleiben. Die kaiserlichen Ärzte entfernten Schmutz und Steinchen aus der Wunde, um eine Entzündung zu verhindern und die Narbenbildung zu verringern.
Cixi hatte den gnadenlosen Schritt unternommen und jeden Eunuchen, der das Wort »Knotenbaum« gehört hatte, töten lassen, auch ihren Großeunuchen Li-Zhang und den Arzt Gengjung. Sechsundzwanzig Eunuchen wurden noch vor Sonnenuntergang am selben Tag von der Kaiserlichen Garde hingerichtet. Wenn sich die unglaublichen Kräfte des Baumes herumsprächen, wäre innerhalb kürzester Zeit der Teufel los. Cixi begriff, was das bedeutete, und musste dafür sorgen, dass die geheimnisvolle Macht in ihren und des Blauäugigen Händen blieb.
In der herbstlichen Luft hing ein Rauchschleier, der vom Sommerpalast herüberzog. Die Späher hatten berichtet, dass die kaiserlichen Residenzen und Wälder seit drei Tagen brannten. Jedes Mal, wenn Cixi in ihren Hof ging und den dunklen Rauch sah, den der kalte Wind nach Süden trieb, packte sie die Wut. Manchmal bekam sie sogar den Brandgeruch in die Nase.
Am zweiten Tag konnte Randall schon aufstehen, und die Schnittverletzungen waren zugeheilt. Die Schusswunde an Bauch und Rücken hatte sich geschlossen, seine Körperfunktionen waren normal. Er nahm jeden Tag einen Tropfen vom Saft der Zypresse ein. Das Ergebnis war übernatürlich. In den letzten acht Stunden hatte er seine ganze Kraft und Schnelligkeit zurückgewonnen.
Cixi begriff sehr gut, was diese unglaubliche Heilung bedeutete. Die Machtverhältnisse ihrer Welt hatten sich dramatisch verändert. Der wundersame Baumsaft spendete Leben – die Kranken konnten geheilt werden, Unsterblichkeit schien möglich. Sie könnte sicherlich Hsien Fengs Leben retten, wenn sie es wünschte. Oder ihr eigenes, falls nötig.
Den Blick auf seinen nackten Oberkörper geheftet, sah sie zu, wie Randall seine aufreibenden Übungen abschloss. Sie waren allein in ihrem Palast. Allen anderen hatte sie den Zutritt verboten, die Wachen vor dem Hoftor verdreifacht. Randall legte sein Kurzschwert auf eine der Stufen, wischte sich das Gesicht mit einem Tuch trocken und ging zu ihr hinüber.
»Lord Elgin hat den Sommerpalast zerstört, weil er glaubt, ich sei tot und er könne sich nun alles erlauben«, sagte er und schaute zu den großen Rauchschwaden, die über der Verbotenen Stadt hingen.
»Die wunderbaren Paläste liegen in Schutt und Asche«, sagte Cixi zornig. »Diese Teufel haben sogar die Wälder niedergebrannt und Öl in die Teiche gegossen, damit die Fische sterben.« Sie zog eine wütende Grimasse. »Ich kann ehrlich behaupten, dass die Zerstörung Yuan Min Yuans die größte Tragödie meines Lebens ist. Die roten Teufel haben eine mystische Welt unwiederbringlich vernichtet.«
»Sie kann wiederaufgebaut werden«, versicherte Randall.
Cixi schaute zum Himmel auf. »Nicht wegen der Bauten oder der Gärten war sie mir so teuer. Diese Schöpfung war das
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