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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Hier und da gelang es mir, in dieser barocken Kaskade Fragmente menschlicher Formen auszumachen, aber so durcheinandergewürfelt und verzerrt, daß ich nichts Genaues erkennen konnte: es war nicht grotesk, sondern nur plump und konfus – als ob der Künstler zwar über die technischen Fähigkeiten eines Michelangelo, aber lediglich über die Vision eines zurückgebliebenen Kindes verfügt hätte.
    Und so sah es auch aus: die Stilelemente mußten wohl einem billigen Hotelzimmer meiner Zeit entlehnt sein – aber sie waren entstellt und in diese merkwürdige Geometrie verwandelt worden, wie Traumgebilde!
    Ich lief umher, wobei die Stiefel im groben Sand knirschten. Ich fand keine Fuge in den Wänden, keinen Hinweis auf Türen oder Fenster. In einer Ecke des Raums stand ein aus weißem Porzellan bestehender, offener Würfel mit drei Fuß Seitenlänge. Als ich auf diesen Porzellanboden stieg, zischte völlig unerwartet Dampf aus Öffnungen in der Wand. Konsterniert wich ich zurück, und die Strahlen ver-siegten; die restlichen Dampfschwaden nebelten mich ein.
    Dann stieß ich im Sand auf eine Reihe kleiner Schüsseln. Sie waren handbreit und flach, wie Untertassen. Einige der Schüsseln enthielten Wasser und andere Essen: frugales Zeug, Früchte, Nüsse, Beeren und dergleichen, aber nichts, das ich auf Anhieb identifizieren konnte. Weil ich Durst hatte, leerte ich einige der Was-serschalen. Die Schüsseln waren ergonomisch ungünstig geformt; ihr flaches Profil verlieh ihnen die Tendenz, daß mir ihr Inhalt übers Kinn tröpfelte, und sie wirkten auf mich weniger wie Tassen, sondern vielmehr wie Näpfe, in denen man Hunden oder Katzen ihr Fressen serviert. Ich knabberte ein wenig am Essen; die Frucht-stücke schmeckten zwar nach nichts, waren aber genießbar.
    Danach klebten meine Hände und Lippen, und ich hielt nach einem Waschbek—
    ken oder einer Toilette Ausschau. Natürlich wurde ich nicht fündig; und so behalf ich mich mit dem Inhalt einer weiteren Wasserschüssel, woraufhin ich mir das Gesicht mit einem Hemdzipfel abtrocknete.
    Ich fummelte an den Pseudo-Fenstern herum und sprang in die Höhe, um an der
    kitschigen Deckenverzierung herumzustochern, aber ohne Erfolg; das Material der Wände und der Decke war so glatt und unverwüstlich wie Marmor. Ich führte Grabungen im Sand des Fußbodens durch und ermittelte dabei eine Schichttiefe von zehn bis zwölf Zoll; darunter befand sich ein Mosaik aus bunten Fragmenten in Anlehnung an den römischen Stil – aber anders als die Decke zeigte das Mosaik kein Porträt oder Szenen, die ich hätte deuten können, sondern nur ein bruchstückhaftes Konglomerat von Entwürfen.
    Ich war allein, und auch von der anderen Seite der Wände kam kein Laut: kein Laut in meinem Universum, außer dem Kratzen meines Atems und dem Pumpen
    des Herzens – dieselben Geräusche, deren Rückkehr ich jüngst so freudig begrüßt hatte!
    Nach einiger Zeit forderten gewisse menschliche Bedürfnisse ihr Recht. Ich unterdrückte sie, so lange es ging, war aber schließlich doch gezwungen, flache Gruben auszuheben, um mich dort zu erleichtern.
    Als ich mich über die erste dieser Gruben hockte, schämte ich mich außerordentlich. Ich fragte mich, was die Sternen-Menschen dieses entfernten 1891 wohl von dieser Vorstellung hielten!
    Als ich müde wurde, setzte ich mich mit dem Rücken an die Wand des Zimmers.
    Anfangs behielt ich die Licht-Brille noch auf, aber dann störte mich das helle Licht beim Einschlafen; also nahm ich sie ab und befestigte sie während des Schlafs an der Hand.
    So begann mein Aufenthalt in diesem bizarren käfigartigen Raum. Als sich mei-ne anfängliche Furcht gelegt hatte, überkam mich eine rastlose Langeweile. Dieses Gefängnis erinnerte mich an die Zeit im Lichtkäfig der Morlocks, und auf eine Neuauflage dieser Erfahrung war ich nun wirklich nicht erpicht. Langsam kam ich zu der Überzeugung, daß alles, selbst das Element der Gefahr, noch einem weiteren Verbleib in diesem düsteren, fensterlosen Gefängnis vorzuziehen sei. Mein Exil im Paläozän – fünfzig Millionen Jahre vom nächsten Zeitungsstand entfernt –
    hatte mich wohl von meinem alten Lese-Drang kuriert; aber dennoch glaubte ich manchmal, daß ich noch verrückt würde, weil ich niemanden zum Reden hatte.
    Jedesmal, wenn ich schlief, wurden die Essens-und Wasserschüsseln aufgefüllt.
    Ich habe nie den Mechanismus ermitteln können, mit dem das geschah. Es gab
    keinen Hinweis auf Extruder, wie sie die

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