Zeitspringer
Schnellboot zeigte eine simulierte Ansicht dessen, was unter ihnen lag: der Hudson, silbrig und geschlängelt im Mondlicht, dann die struppigen Berge des Adirondack-Waldschutzgebiets, über vierhundert Hektar unverdorbene Wildnis mitten in der weitläufigen Stadt, und schließlich das Flutlichtglitzern der Landerampe. Anschlußtransport brachte Quellen rasch zu Cashdans Haus. Er hatte sich ein wenig verspätet, aber das störte ihn nicht.
Es war eine großartige Villa. Auf solche Pracht hatte Quellen sich nicht eingestellt. Natürlich war Cashdan gehalten, nur an einem Ort zu leben, im Gegensatz zu den Zweiern, die mehrere Wohnungen in verschiedenen Teilen der Welt haben durften. Trotzdem, es war ein herrliches Haus, in erster Linie aus Glas mit Achsenpolen aus einem schwammigen, hart aussehenden Kunststoff bestehend. Es waren mindestens sechs Zimmer, ein kleiner Garten(!) und ein Landeplatz auf dem Dach. Selbst von der Luft aus wirkte das Ganze warm und einladend. Quellen trat ins Vestibül und suchte nach Judith.
Ein beleibter Mann über Sechzig in einer gestärkten weißen Tunika kam heraus, um ihn zu begrüßen. Diagonal an der Tunika prangte die goldene Schärpe der Macht.
»Ich bin Brose Cashdan«, sagte der Mann. Er hatte eine tiefe, herrische Stimme. Quellen konnte sich vorstellen, daß dieser Mann den ganzen Tag knapp und klar Entscheidungen traf und sich kaum die Mühe machte, eine Empfehlung von der Hohen Regierung einzuholen.
»Joseph Quellen. Ich wurde eingeladen von –«
»Judith da Silva. Gewiß. Judith ist schon da. Willkommen, Mr. Quellen. Wir sind geehrt, daß Sie sich uns anschließen. Kommen Sie, kommen Sie.«
Es gelang Cashdan, gleichzeitig einschmeichelnd und herrisch zu wirken. Er führte Quellen in einen anderen Raum von sieben Metern Länge und mindestens zehn Metern Breite. Von Wand zu Wand war der Raum mit einem Bodenbelag aus grauem Schaumstoff ausgelegt, der möglicherweise ein Maß an Pseudoleben besaß. In diesem Palast gab es gewiß nichts Karges oder Farbloses.
Acht oder neun Personen saßen in der Mitte des Raumes beieinander auf dem Boden. Judith war dabei. Zu Quellens Überraschung hatte Judith es nicht für angemessen gehalten, sich auf die armselige, zurückhaltende Weise zu kleiden, die von den meisten Kommunikanten dieser Sekte bevorzugt wurde. Offenbar hatte diese Oberklassen-Versammlung andere Maßstäbe. Judith trug ein höchst unanständiges Aufsprühkleid, blau mit grünen Untertönen. Ein Streifen Stoff zog sich zwischen ihren Brüsten hindurch, die sonst nackt waren, und wand sich um ihre Hüften und Lenden. Ihre Nacktheit war mehr oder weniger bedeckt, aber da die Hülle nicht mehr war als Farbe, hätte sie ebensogut nackt kommen können. Quellen hatte gehört, daß solche Extremmoden nur in hochfeinen Kreisen zulässig waren, wo niemand unter Stufe Sechs teilnahm. Für Judith, Stufe Sieben, war es also ein wenig vorwitzig, so zu erscheinen. Quellen spürte, daß er und Judith wohl die einzigen Siebener im Raum sein mochten. Er lächelte Judith an. Sie hatte kleine Brüste, die Art, die jetzt begehrt war, und lenkte die Aufmerksamkeit dadurch auf sich, daß sie die Brustwarzen gefärbt hatte.
Neben ihr saß ein korpulenter, praktisch halsloser Mann mit gestutztem, blaugefärbtem Vollbart, feuchten Lippen und gelassenem Gesichtsausdruck. Neben sich hatte er eine zweite Frau, etwas älter als Judith, die ein Aufsprühkleid trug, das nicht viel züchtiger war als das ihre. Bei Judith sah das gut aus, aber nicht bei dieser Frau, die unmoderne pralle Brüste und dicke Oberschenkel hatte. Sie lächelte Quellen affektiert an, während er unhöflich auf ihren geschmacklos entblößten Körper starrte.
Die anderen Teilnehmer wirkten wohlhabend und ernsthaft intellektuell – in der Hauptsache Männer, die meisten ein wenig weibisch, alle gut gekleidet und offenkundig von hohem Rang. Judith stand auf und übernahm die Vorstellung. Quellen ließ die meisten der Namen an sich vorüberziehen, ohne sie zu beachten. Der halslose Mann mit dem blauen Bart war, wie er erfuhr, Dr. Richard Galuber, Judiths Freudel. Die beleibte Dame war Mrs. Galuber. Interessant. Quellen hatte nicht gewußt, daß der Freudel verheiratet war. Er hatte infolge einer von Scham diktierten umgekehrten Übertragung lange den Verdacht gehabt, Judith sei Galubers Geliebte. Das mochte sein, aber würde Galuber bei einer solchen Versammlung Ehefrau und Geliebte zusammenführen? Quellen konnte es nicht
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