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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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seltsame altmodische alte Gebäude gehen und sehen können, was heute nicht mehr zu sehen ist – was sich hinter dieser Tür befand.
    Das Gefühl des Wunderbaren wird bei den alten stereoskopischen Aufnahmen noch gesteigert – den beinahe, aber nicht ganz identischen Fotografien, die nebeneinander auf fester Pappe montiert sind und bei Betrachtung durch das Stereoskop eine frappierende Tiefenwirkung offenbaren. Ich habe mich nie darüber gewundert, dass einst das ganze Land verrückt nach ihnen war. Weil die guten, die wirklich scharfen Fotografien so außerordentlich lebendig sind: Man legt eine Ansicht ein, stellt sie scharf, und die alte Szenerie springt einen erstaunlich dreidimensional an. Und dann erfasst mich große Ehrfurcht davor. Denn nun sieht man den angehaltenen Augenblick so wirklich vor sich, dass sich die Empfindung einstellt, das Leben dort müsse gleich weitergehen. Der erhobene Huf des Pferdes, der sich so klar im Vordergrund abzeichnet, müsse sich wieder auf das feste Pflaster unter ihm senken; die Räder der Kutsche müssten sich drehen, das Mädchen näher kommen und der Mann aus der Szene hinaustreten. Das Gefühl, dass die beinahe quälende Realität des gerade erst vergangenen Augenblicks irgendwie zu greifen wäre – dass man, wenn man nur lange genug hineinstarrt, die erste, beinahe nicht wahrnehmbare Bewegung entdecken kann –, das ist die Antwort auf die Frage, die Kate mir mehr als einmal stellte: »Wie kannst du so lange hier sitzen – ohne dich zu bewegen – und endlos auf das immer gleiche Bild starren?« Deswegen mochte ich den Laden; er besaß Dinge wie diese, die man immer und immer wieder betrachten konnte. Und ich mochte ihn auch, weil ich durch ihn Kate kennengelernt hatte; es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich den Mut besessen hatte zu tun, was ich getan hatte.
    Ich hatte für eine Zeichnung, an der ich gerade arbeitete, eine bestimmte Art Lampe gebraucht, wie sie nicht mehr hergestellt wurde. Auf der Suche danach kam ich auch an Katies Laden vorbei und blieb stehen, um in das Fenster zu schauen, während sie gerade etwas herausnahm. Ich betrachtete sie. Sie ist ein gut aussehendes Mädchen mit dichtem, dunkelbraunem Haar, das einen kupfernen Schimmer hat, leicht sommersprossiger Haut und braunen Augen, die so oft mit diesem Typ einhergehen. Aber es war vor allem ihr Gesicht, das mich anzog, ich meine ihren Blick, ihren Gesichtsausdruck. Es war, und das fiel auf, das Gesicht eines ungewöhnlich freundlichen Menschen, das war alles. Ich mochte es sofort. Und ich bin mir sicher, dass ich deswegen, als sie zu mir hochblickte, den Mut hatte – ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas derartig Kühnes vorher getan zu haben –, ihr auf den Fingerspitzen durch das Schaufenster einen Kuss zuzuwerfen, als sich unsere Blicke trafen. Sie lächelte, und bevor mich dieser für mich untypische Wagemut wieder verließ, ging ich in den Laden und vertraute darauf, dass mir etwas einfallen würde. Es fiel mir tatsächlich etwas ein. Ich sagte ihr, ich suchte einen neuen Napoleonhut, nachdem sie mir meinen alten weggenommen hätten. Sie lächelte wieder, was deutlich zeigte, wie freundlich sie war, und wir kamen ins Gespräch. Und da sie nicht einfach den Laden verlassen konnte, um mir bei einer Tasse Kaffee Gesellschaft zu leisten, war ich am nächsten Tag wieder da, und ich führte sie zum Abendessen aus.
    Katie kam nun herunter – ihr Apartment lag über dem Laden. Sie trug einen kurzen braunen Trench, und um ihr Haar hatte sie ein gelbes Tuch gebunden, was sehr hübsch dazu aussah. Sie gab mir die Autoschlüssel und fragte, ob es mir was ausmache zu fahren; sie wusste, dass ich sehr gerne am Steuer des MG saß.
    Wir verbrachten einen sehr schönen Tag miteinander. Am späten Nachmittag fuhr ich dann über eine kleine Landstraße  – eine unbefestigte Straße, zu beiden Seiten breitete sich Farmland aus. Hin und wieder tauchten Steinmauern auf und Bäume, von denen einige noch immer ihr herbstliches Laub trugen. Ich fuhr nicht schneller als dreißig, trödelte herum, nur eine Hand am Steuer, und dachte an nichts Bestimmtes. Mehrmals an diesem Tag hatte ich an Rube Prien denken müssen und mir gewünscht, ich könnte mit Katie darüber reden. Ich konnte mich jedoch nicht mehr recht daran erinnern, ob ich versprochen hatte, die Unterhaltung mit Prien geheim zu halten, also sagte ich lieber nichts.
    Es war noch immer relativ warm, die Spätnachmittagssonne

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