Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Gemüsesuppe und ein Pastrami-Sandwich, dazu einige Gläser Bier. Niemand hätte uns belauschen können, denn wir saßen in einer Nische in der hintersten Ecke, neben und hinter uns die Außenmauern des Gebäudes.
Ich will nicht jedes Wort unserer Unterhaltung wiedergeben. Wir gaben unsere Bestellung auf, und dann wies Rube sehr sachlich und mit ruhiger Stimme darauf hin, dass sie zwar hofften, ich würde mit dem Projekt weitermachen – neue Kandidaten waren nicht leicht zu bekommen, und ihre Ausbildung sei eine langwierige Angelegenheit –, dennoch sei ich für das Projekt nicht unersetzlich. Falls ich nicht weitermachte, würde es zwar eine Verzögerung geben – Ersatz aber würde bestimmt gefunden werden. Ich wusste das natürlich. Zumindest wusste ich, dass das, was Rube jetzt so sicher und ruhig vortrug, im Bereich des Möglichen lag. Und es lief mir kalt über den Rücken, als er es sagte, denn ich konnte nicht leugnen, dass der Gedanke, niemals wieder zurückzugehen, für mich schwer zu akzeptieren war. Alles, was ich tat, war, mit dem Kopf zu nicken und zu sagen, einverstanden, aber mit dem Projekt weiterzumachen würde mein Gewissen nicht entlasten, wenn ich herausfand, dass es ein Fehler gewesen sei.
Unsere Sandwiches kamen und wir verzehrten sie. Rube hatte bereits die Hälfte davon mit großem Appetit verschlungen, als er es auf den Pappteller legte, sich über den Tisch beugte und antwortete. Mit sehr leiser Stimme, sagte er: »Si, Dr. Danziger ist ein alter Mann. Vergessen Sie das nicht. Und was das Projekt bislang erreicht hat, ist genug – für ihn. Für ihn stellt es einen Höhepunkt dar; er hat erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Und wenn sich herausstellt, dass das alles ist, was erreicht werden konnte, dann kann er zufrieden sein. Ich mag ihn, wirklich. Aber er ist ein alter Mann, der zu sehr das Risiko scheut. Wenn Sie ihm nur lange genug zuhören, sind Sie anschließend der Überzeugung, dass Sie im Januar 1882 nur laut genug niesen müssen, um eine Kette von Ereignissen in Gang zu setzen, die schließlich zur Zerstörung der Welt führt. Aber so ist es nicht; die Auswirkungen sind nicht anders als hier und jetzt. Versuchen Sie es, Si.« Er grinste mich an und nahm sein Sandwich wieder auf. »Kommen Sie! Hier sind einige Dutzend Menschen; niesen Sie. Und nichts, absolut nichts wird passieren. Verdammt noch mal, die Leute heiraten nicht wegen der alltäglichen, trivialen Handlungen eines Fremden. Sie haben nicht einmal diesen Pickering aus der Bahn werfen können. Das ist offensichtlich seine Natur, so handelt er, und dementsprechend benimmt er sich, mit oder ohne Sie. Es zählt einfach nicht; die wirklich wichtigen Ereignisse werden nicht zufällig herbeigeführt. Sie sind das Resultat von vielen miteinander verschränkten Kräften, eine Tat allein hat keinen Einfluss auf sie. Wenn Sie nicht zurückgehen und bewusst etwas Entscheidendes, Einschneidendes tun, durch das sich ein größeres Ereignis einfach ändern muss, werden Sie kaum etwas bewirken. Möchten Sie Nachtisch?«
Ich lehnte ab, Rube bestellte Apfelkuchen und ein weiteres Bier. Ich sagte wenig und ließ mich auf keine Diskussion ein. Von Zweifeln geplagt und etwas verwirrt saß ich da. Rube aß schnell, mit einem Bissen vertilgte er ein Viertel des Kuchens, gefolgt von einem vierten Bier. Plötzlich, unverhofft, lächelte er mich an, ein Typ, den man einfach mögen musste, und sagte: »Si, bleiben Sie bei uns, Herrgott noch mal. Sie haben bislang nicht den geringsten Schaden angerichtet, Sie haben nichts, absolut nichts beeinflusst, und wir haben dafür Beweise. Und genauso wird es auch weiterhin sein, wenn Sie vorsichtig sind.«
Wir sprachen ein wenig über das, was im Gramercy Park neunzehn geschehen war. Rube machte es sich mit einer Zigarre bequem, und ich erzählte ihm von meinen Eindrücken aus dem New York von damals und heute. Er hörte zu, stellte Fragen und war fasziniert. Er sagte: »Ich kann es nicht. Ich habe es versucht, lang bevor ich Sie kennenlernte, aber ich kann es einfach nicht. Gott, wie ich Sie beneide.« Er schaute auf seine Uhr und richtete sich dann widerstrebend auf; er wollte schon aufstehen, da legte er plötzlich seine Hand auf meine. »Ich muss mit Ihnen gar nicht darüber diskutieren, denn Sie sehen es genauso wie wir alle; das Projekt kann nicht fallengelassen werden; es geht einfach nicht. Und da Sie dabeibleiben wollen, hat es keinen Sinn, wenn Sie gehen.« Ich nickte nicht,
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