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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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aber stark variiert; manche Namenszüge waren größer und fließender als die anderen, einige sehr leserlich, andere nur ein hingeworfenes Gekritzel. Er hatte seine Unterschrift geübt und nach der gesucht, die ihm am eindrucksvollsten erschien. Ich fühlte mich berührt und beschämt, als ich dort saß und das Eigentum dieses Mannes durchwühlte.
    Dennoch ließ ich mich nicht davon abbringen. Ich durchsuchte die unteren Schubladen links und rechts an den Seiten des Pultes und fand einen Pappkarton mit Karteikarten, ein sehr dickes Glas, das er wohl aus einem Restaurant gestohlen hatte, ein Paar Ledersandalen, zwei zusammengefaltete Zeitungsseiten, die ich öffnete, um Fettflecken, Brösel und einen vertrockneten Pfirsichkern zu finden, eine Papiertüte mit Brotkrumen, vier oder fünf Sodacracker und einen faulenden Apfel. Und eine auf Karton aufgezogene Sepia-Fotografie, ein Porträt von Julia. Auch diese nahm ich heraus und hielt sie ans Licht. Es war eine gelungene Aufnahme; ihr volles, glänzendes Haar und dieser wissende, leicht spitzbübische Blick, den ihre Augen selbst dann ausstrahlten, wenn sie entspannt war, waren gut eingefangen.
    Ich legte sie wieder weg und lehnte mich zurück, um mich im Zimmer umzusehen. Rechtecke und Quadrate, die heller als die übrige Wand waren, zeigten, wo gerahmte Bilder oder Karten gehangen hatten; dort, wo sich eine Pendeluhr befunden hatte, war die umgedrehte Form eines Banjos zu sehen. Die Wände waren nun nackt bis auf einen Werbekalender mit der Aufschrift Junius Roos & Son, Printing Inks, der das letzte Blatt vom Dezember 1880 zeigte. Von der hohen Decke hing eine metallene, auf den Kopf gestellte T-Form, an deren Enden zwei Gaslampen befestigt waren. Der Boden bestand aus Holz; neben dem Stuhl stand ein unglaublich verbeulter Spucknapf. Das war das Büro; es gab nicht die geringste Möglichkeit, sich hier zu verstecken.
    Ich ging zu der Tür, die in den nächsten Raum führte. Sie befand sich in der Mitte der Wand und war mit etwa ein Zentimeter dicken Kieferbrettern zugenagelt, die zehn bis fünfzehn Zentimeter breit und sorgfältig auf die passende Länge zugeschnitten waren. Aber es waren gewöhnliche Kieferbretter mit vielen Astlöchern, zwischen ihnen waren Abstände von fünf Zentimetern und mehr. Die Nagelköpfe standen ein wenig heraus, damit sie leicht wieder entfernt werden konnten. In der Frankfort Street, nur wenige Häuser von der Park Row entfernt, hatte ich eine Eisenwarenhandlung gesehen; ich schloss die Tür und verließ das Haus. Zehn Minuten später kehrte ich mit einem Hammer zurück und schob ihn unter dem untersten Brett hindurch in das andere Zimmer ein wenig um die Ecke, ganz nah an die Wand, damit er nicht zu sehen war. Ich wusste nun, wie ich das heutige Treffen – das nur noch wenige Stunden entfernt war – nicht nur belauschen, sondern auch beobachten konnte, und ging.
    Es gab ein Foto, das ich unbedingt noch machen musste; es war der wirkliche Grund, warum ich an diesem Morgen Felix’ Kamera mitgenommen hatte. Ich nahm die Hochbahn der 6th Avenue zur 23rd Street, ging einen Block nach Osten zur Kreuzung von Broadway und 5th, und mitten auf der Straße, von einer wunderschönen Straßenlaterne geschützt  – warum hat man sie nur entfernt? –, setzte ich die Kamera auf den Rand eines großen Pferdetrogs und eliminierte mit der Belichtungszeit den starken Straßenverkehr. Sie finden die Aufnahme hier, rechts im Hintergrund der Arm der Freiheitsstatue, der sich hoch über die Bäume des Madison Square erhebt.

    Und hier ist die Ausschnittsvergrößerung, die Felix für mich gemacht hat.

    Es war fast Mittag, ich war hungrig und sah, nur ein Dutzend Schritte weiter auf der 23rd Street, einen Saloon. Ich ging hinein; dieser hier sah genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: ein langer Tresen mit Messingreling, dahinter ein verzierter Spiegel und in der Ecke ein Tisch mit Speisen. Brotscheiben, aufgeschnittenes Fleisch – Schinken, Hühnchen, Truthahn, Wildente und Roastbeef  –, Kartoffelsalat, eine große Glasschale mit Dutzenden von hart gekochten Eiern und Senf, Meerrettich, Essiggurken und Gewürze und viele andere Dinge. Das alles war kostenlos, wenn man einen Krug Bier für fünf Cents bestellte, was ich tat. Das Bier schmeckte anders als heutiges Bier, würziger, mehr nach Malz oder Hopfen, was ich nicht unterscheiden konnte. Am Bier nippend, aß ich, so viel ich nur konnte, und las das große Schild über der Bar:

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