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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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Grund, einfach nur, um die anderen Seiten des Gebäudes auch einmal zu sehen, die, wie ich feststellen musste, ebenso aussahen wie die vordere, ging ich um das Bauwerk herum, entlang der Beekman Street, bog dann in die Nassau Street ein und betrat durch den an dieser Straße gelegenen Eingang das Haus. Kein Hämmern oder Sägen war zu hören, als ich diesmal das Entree betrat; als ich die Treppe zum zweiten Stock hochging, war das Büro, in dem die Zimmerleute gearbeitet hatten, verschlossen. Nicht nur verschlossen, die Tür war vom Boden bis zur Decke mit Brettern zugenagelt und mit Warnschildern versehen. Offensichtlich hatten sie mittlerweile den Boden ganz herausgenommen. Auf dem Weg in den dritten Stock kam ich auf die Idee, dass sie nun vielleicht dort arbeiteten und sich mir dadurch irgendwie die Möglichkeit eröffnete, auf die ich wartete.
    Aber im dritten Stock sah alles aus wie zuvor. Wenn sie seit meinem letzten Besuch hier gearbeitet hatten, dann zumindest jetzt nicht mehr; die Tür war mit einem Vorhängeschloss gesichert, in roter Farbe war eine Warnung daraufgemalt. Wieder probierte ich die Tür zu Pickerings Büro; doch auch diesmal war sie abgeschlossen.
    Nichts hatte sich verändert; ich bückte mich und sah durch das Schlüsselloch; wieder erblickte ich das Rollpult und den Stuhl vor dem hohen schmalen Fenster und die mit Brettern zugenagelte Verbindungstür zum angrenzenden Raum rechts. Ich richtete mich wieder auf und stand hilflos im Gang herum. Es gab einfach keine Möglichkeit, dort hineinzugelangen. Dennoch musste ich hinein. Ich versuchte mich an alles zu erinnern, was ich jemals über das Einbrechen in verschlossene Räume gehört hatte. Mit einem Plastik- oder Zelluloidstreifen die Türseite entlangfahren, damit das Schloss zurückschnappt, hieß es in Geschichten, die ich gelesen hatte. Aber dabei handelte es sich um Schlösser, die damals noch nicht in Gebrauch waren; das hier war anders, es besaß keine Feder, die man zurückschnappen lassen konnte. Es gab keine Möglichkeit, hineinzukommen. Ich stand in einem schmalen Gang, der von einem einzigen offenen Gaslicht erleuchtet wurde, und starrte wütend und stur auf die verschlossene Tür. Irgendjemand kam hoch, und irgendjemand ging nach unten; jedes Mal drehte ich mich um – die Kamera hatte ich um die Schulter gehängt – und ging zum Hauptkorridor, als wolle ich gerade gehen. Wenn die Schritte außer Hörweite waren, kehrte ich wieder um.
    Ich konnte nicht gehen; ich war wie hypnotisiert. Ich phantasierte von solch wilden Dingen, wie mich vom Dach aus zum Fenster von Raum siebenundzwanzig oder dem anliegenden, verschlossenen Raum abzuseilen. Oder den halbfertigen Aufzugsschacht bis zur Unterseite des dritten Stocks hinaufzuklettern … und dann? Ich wusste es nicht.
    Dann hörte ich in meinem Gang das Geräusch einer Tür, die geöffnet wurde, drehte mich schnell um und ging zur Treppe. Ich stieg sie hinauf, der andere, wer immer es auch gewesen sein mochte, ging nach unten, dann kehrte ich um und stand wieder vor der Tür. Eine Minute verging; ich wusste, dass ich genauso gut gehen konnte, war aber nicht dazu imstande.
    Weiche schlurfende Schritte – Pantoffeln, die ich erst hörte, als sie in meinen Gang einbogen – waren auf einmal hinter mir; ich flog herum. Der alte Hausmeister kam langsam auf mich zu; mit eingezogenem Kopf besah er sich einen Packen Briefe. Er hatte mich noch nicht gesehen; in dem Moment aber, in dem er seinen Kopf hob, würde er mich erblicken. Der Gang war zu eng, um unbemerkt an ihm vorbeizuschlüpfen; es gab keine Möglichkeit, auszuweichen. Ich hatte noch Zeit, ein freundliches Lächeln aufzusetzen, dann sah er auf, blieb stehen und schaute mich stirnrunzelnd an; er hatte mich bereits früher einmal gesehen, daran konnte er sich noch erinnern, aber er konnte mich nicht einordnen.
    Dann plötzlich erinnerte er sich und nickte. »Morgen, Mr. Pickering, keine Post für Sie«, sagte er, ging an mir vorbei und schob unter einigen der nummerierten Türen Briefe durch. Nichts regte sich in meinem Gehirn. Während der fünfzehn Sekunden, die er brauchte, um an das Ende des Ganges zu gelangen, umzukehren und zurückzukommen, starrte ich ihn nur an. Wieder sah er mich an, nun etwas irritiert. »Was ist los, Schlüssel vergessen?«, fragte er. Noch bevor ich antworten konnte, schüttelte er verärgert den Kopf. »Hab keinen Zweitschlüssel, nicht für die Tür! Wahrscheinlich hatte ich einen, ja, ich hatte

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