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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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vergoldete Buchstaben mit schwarzem Hintergrund auf glänzendes spiegelähnliches Glas gemalt. Es lautete:
    Mein Blut wallt auf, hör ich den heil’gen Namen
In rohen Worten, die den HERRN verdammen.
Bewahre Rang und Anseh’n, verachte, was gemein.
Zu fluchen – hüte dich! – ist weder tapfer, klug noch fein!
Denn fluchen wirst du nicht auf deinem Totenbett – sei still!
Wenn gleich dein Schöpfer dir das Leben nehmen will.
    Offensichtlich war ich der Einzige hier, der das las; niemand, der Barkeeper eingeschlossen, scherte sich einen Deut um die Botschaft des Spruchs, wie ich aus ihrer Sprache entnehmen konnte. Ich denke, er hing hier einzig und allein aus Anti-WCTU-Propagandagründen.
    Am Ende der Theke lag ein New Yorker Adressbuch aus; ich holte es zu mir herüber: Wer von den Berühmtheiten lebte denn nun gerade in New York City? Nun, zum einen, ich erinnerte mich an einen College-Kurs über amerikanische Literatur, gab es Edith Wharton; sie musste jetzt ein junges Mädchen von neunzehn oder zwanzig Jahren sein, noch unverheiratet, mit dem Familiennamen Jones, die die New Yorker Gesellschaft beobachtete, über die sie einmal schreiben würde. Aber es gab vier Seiten mit Jones, natürlich, und wenn ich vielleicht einmal den Vornamen ihres Vaters gewusst hatte, was ich bezweifelte, so konnte ich mich jetzt nicht mehr daran erinnern. Franklin Roosevelt, das wusste ich, wurde 1882 geboren, zumindest glaubte ich das zu wissen. Aber nicht im Januar, und nicht in New York City, dennoch schlug ich ›Roosevelt‹ auf und fand ein Dutzend, darunter einen Elliott und einen James. Al Smith, ein alter Politiker, über den mein Vater sich immer ereiferte, lebte als Junge auf der Lower East Side, aber ich machte mir nicht die Mühe, bei ›Smith‹ nachzuschlagen. Ich fand Ulysses S. Grant, der unter der Adresse 3 East 66th Street angegeben war. Walt Whitman war nicht aufgeführt; lebte er in Brooklyn? Ich konnte mich nicht erinnern. Aber General Custers Frau, Elizabeth B., wurde als ›Witwe‹ geführt und lebte in der 148 East 18th Street – womöglich in dem Stuyvesant-Apartmenthaus?
    Ich war mit essen fertig und wollte bereits gehen, als mir ein weiterer Name einfiel, den ich dann nachschlug. Er war da: ›Melville, Herman, Inspektor, h. 104 E. 26th.‹ Ich ging zur 26th Street hoch, Nr. 104 fand ich zwischen 4th und Lexington, an der südlichen Seite der Straße. Ein altes Haus, das sogar jetzt schon altmodisch aussah. Einige Minuten lungerte ich davor herum und ging langsam die 26th auf und ab. Er war zweifellos bei seiner Arbeit, irgendwo in den Zollgebäuden am Fluss. Außerdem wusste ich sowieso nicht, wie er aussah. Irgendwie, dachte ich, würde ich ihn erkennen, falls er des Weges gekommen wäre, und ich hätte ihm gerne gesagt, dass mir Moby Dick sehr gut gefiel, was zwar einer Übertreibung, aber nur einer kleinen, gleichgekommen wäre. Es war blanker Blödsinn, schließlich ging ich. Ich hatte zwar kurz daran gedacht, vom Haus eine Aufnahme zu machen, aber es war uninteressant, ohne besondere Merkmale, und ich hatte nicht mehr viele Platten übrig; von ihm selbst jedoch hätte ich gern eine Fotografie gemacht.
    An der 35th und der 5th näherte sich ein Bus, wie Kate und ich ihn bereits beim ersten Besuch benutzt hatten. Ich machte diese Aufnahme, vor allem, weil ich auch das A. T. Stewart-Mansion (rechts im Bild) und die Zwillingsbauten von Astor links davon mit ablichten konnte. Das ist der Ort, an dem später das Empire State Building entstand. Eine typische Ansicht der 5th Avenue; die schmiedeeisernen Geländer in der linken unteren Ecke schützen die Treppen zu den Kellergeschossen der New Yorker Sandsteingebäude; sie sind absolut identisch mit den Geländern, die bis in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein überlebt haben.

    Ein Gedanke überkam mich, wie ein Gegenstand, der sich vom Grund eines Sees gelöst hat und nun langsam nach oben treibt: Julia. Nun, was war mit ihr? Ich ging die 5th nach Norden. Es war nun fast warm, viel Blau zeigte sich zwischen dem Grau des Himmels. Was Julia betraf, so hatte ich für mich jedenfalls in der vergangenen Nacht alles geklärt, eine Entscheidung gefällt, die ich nicht mehr ändern würde. Dennoch war ein Gefühl nicht näher zu bezeichnender Besorgnis geblieben.
    Ich hatte mehr als die Hälfte meiner Platten aufgebraucht. Als ich allerdings die 42nd Street erreicht hatte, musste ich unbedingt eine Aufnahme des Croton Reservoir

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