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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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und tief, sehr tief hinunterstürzte. Sie war unglaublich hoch und schwang im frostigen Winterwind. Die Augen hatte ich starr auf die Holzplanken vor meinen Füßen gerichtet. Ich wagte kaum, einen Schritt vorwärts zu machen, und ich konnte natürlich doch nicht widerstehen, zwischen den Spalten nach unten zu blicken durch die schrecklichen Löcher in der Fahrbahn auf den blaugrauen Fluss, der unendlich weit entfernt zu sein schien. Zehn Schritte, und ich konnte einfach nicht mehr weiter. Ich wollte umdrehen, doch aus dieser Richtung kamen zwei Männer auf mich zu. Es gab nicht genügend Platz, aneinander vorbeizugehen; wenn ich es versucht hätte, wäre ich bestimmt abgestürzt.
    Ich zwang mich, langsam einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es schien ewig zu dauern und niemals ein Ende zu nehmen. Der Stahlseil-Handlauf glitt durch meine verkrampfte Faust, bis die Hand rau und schwarz vor Schmiere war. Dann endlich betrat ich die Plattform des Brooklyn-Turms, der wunderbar fest und wunderbar breit war. Ich stand oben, schluckte vor Erleichterung und spürte, wie der Angstschweiß, auf meinem Gesicht trocknete.

    Dies ist das Foto, das ich von dort oben machte und auf das ich ziemlich stolz bin. Die beiden Männer, die hinter mir gegangen waren, hatten in der Mitte eine Pause eingelegt, um die Aussicht zu genießen; einer lehnte sich sogar mit dem Rücken an den Handlauf. Ich konnte kaum hinsehen.
    Aber ist das nicht ein herrlicher Anblick? Links, in weiter Ferne, befindet sich die Trinity Church. Ich war nun froh, sehr froh, dass ich den schweren Gang über die Brücke – bravourös, wie ich mir einzureden versuchte – gemacht hatte. Zurück nach Manhattan aber nahm ich die Fähre.
    Fünfzig Meter weiter war ich tief in den Slums, zwei Blocks später hatte ich weit mehr gesehen, als ich sehen wollte; die Fotografie, die ich dort gemacht habe, zeigt, warum. Die Gehwege, vom Schnee geräumt, waren voll mit Abfalltonnen, die, wie ich annahm, seit Wochen nicht mehr geleert worden waren. Auf den Straßen sah es noch schlimmer aus. In den Rinnsteinen türmte sich der Schnee, fast vollständig mit Abfall, Ruß und allem möglichen Unrat bedeckt. Hier sehen Sie meine Aufnahme davon. Wir kümmern uns heutzutage kaum um die Armen. Das neunzehnte Jahrhundert, so schien mir allerdings, kümmerte sich noch weniger um sie.

    Ich nehme an, es spricht nicht unbedingt für mich, aber es gab nichts, was ich hier tun konnte; es war einfach zu deprimierend. Mit schnellen Schritten eilte ich durch die Stadt zum City Hall Park; ich wollte weg aus dieser Gegend. Als ich die Park Row erreichte, blickte ich nach links, sah das Times Building und direkt daneben das Gebäude, in dem Jake sein verschwiegenes Büro hatte. Und bei diesem Anblick tauchte plötzlich ein Gedanke in mir auf: Sie werden nicht im Park bleiben! Im ersten Moment blieb ich reglos auf dem Bürgersteig stehen. Wie konnte ich das nur übersehen haben? Welche hohlköpfige Gedankenlosigkeit hatte mich glauben lassen, dass Pickering und Carmody dort jenseits der Straße im Park sitzen würden in der eiskalten, mitternächtlichen Dunkelheit!
    Ich bog in die Park Row zum Potter Building ein. Ich wusste, dass mein Gedanke richtig war. Jake würde niemals die Dokumente in den Park mitnehmen, damit sie ihm keiner gewaltsam wegnehmen konnte, falls Carmody dafür jemanden engagiert hatte. Außerdem wollte er bestimmt das Geld zählen. Und Carmody würde nicht das Geld überreichen, bevor er nicht Pickerings Unterlagen durchgesehen hatte. Sie mussten zu Jakes Büro, um die Transaktion durchzuführen; sie mussten einfach. Es würde für mich also keine Möglichkeit geben, sie zu belauschen.
    Ich blieb mitten auf dem Gehweg stehen und starrte das Gebäude an; ich dachte nun nicht mehr an die Fotografien. Das Gebäude hatte sich nicht verändert; alles war noch in demselben verwahrlosten Zustand und verbreitete weiterhin Hoffnungslosigkeit. Dann las ich erneut fast gedankenlos die langen schmalen Schilder, die die Geschäfte der Hauptmieter bezeichneten: Turf, Field and Farm lauteten die goldfarbenen Lettern auf dem schwarzen Hintergrund unter einer Fensterreihe im vierten Stock; The Retailer stand auf einem weiteren Schild, The Scottish American auf einem dritten. Unter einer Fensterreihe im dritten Stock hing Scientific American, und wieder betrachtete ich – mit ebenso wenig Interesse – das Schild, das ich niemals vergessen sollte: The New-York Observer.
    Ohne besonderen

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