Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
einen. Aber der ist jetzt weg. Ich kann Ihnen nicht helfen! Sie müssen nach Hause und Ihren eigenen holen. Hab keine Zeit …«
Ich lächelte und unterbrach ihn. »Doch, Sie haben einen«, sagte ich ruhig. »Sie haben einen Ersatzschlüssel, und Sie wissen das auch. Aber es ist ein langer Weg nach unten, nicht? Bis in den Keller?« Ich holte meine Brieftasche heraus und entnahm ihr eine Ein-Dollar-Note. »Aber es ist nicht so weit wie mein Weg nach Hause, um den Schlüssel zu holen.« Ich gab ihm den Dollar. »Kommen Sie«, sagte ich. »Ich gehe mit Ihnen nach unten, damit Sie sich den Weg zurück sparen können.«
Zwei Minuten später, als ich die Kellertreppe wieder hochstieg, war ich im Besitz eines Schlüssels mit einem verschmutzten Anhänger aus Pappe, auf dem die Nr. 27 stand. Ich ging nicht sofort nach oben, sondern durchquerte das Gebäude, ging zur Park Row hinaus und fand im Times Building, im Erdgeschoss neben Nash & Crook’s Restaurant, einen Schlosser, an dessen Schild ich mich erinnert hatte. Er verlangte zehn Cents, um ein Duplikat herzustellen. Fünfzehn Minuten, nachdem mir der Hausmeister den Schlüssel überreicht hatte, gab ich ihn ihm zurück, als er gerade im zweiten Stock die Post verteilte.
Ich stieg zum dritten Stock hoch und überlegte, dass ich das Duplikat vorher hätte ausprobieren sollen; doch der Schlüssel passte hervorragend. Er klapperte im Schlüsselloch, die Zähne griffen, und er ließ sich weich umdrehen; dann drehte ich den Knauf und betrat Jake Pickerings Büro.
Es war mit Aktenschränken vollgestellt, dreizehn zählte ich, die sich alle vier Wänden entlangzogen. Es waren Eichenschränke, drei Schubladen übereinander, jede Schublade besaß einen Metallgriff. Sie waren zerkratzt und abgenutzt, aus zweiter oder dritter Hand, schätzte ich. Zusammen mit dem Pult und dem Stuhl vor dem Fenster füllten sie zwei Drittel des Büroraums aus. Ich zog den Schlüssel aus dem Schloss und machte die Tür hinter mir zu; dann lauschte ich einen Moment – alles war still, und ich verschloss sie. So leise wie möglich begann ich, die Schubladen der Schränke zu öffnen.
Einige waren sehr schwer und ganz oder fast ganz gefüllt. Die meisten waren zur Hälfte oder zu einem Viertel voll, eine oder zwei enthielten nur einige wenige Papiere, in einer von ihnen lag ein Paar Gummigamaschen, in einer anderen eine halb volle Quartflasche Eagle Whisky. Die Akten waren überaus sorgfältig angelegt, keine Eselsohren, keine Blätter, die oben oder an den Seiten überstanden, dazwischen Trennblätter mit Reitern, die mit schwarzer oder roter Tinte sorgfältig und beinahe kunstvoll beschriftet waren. Die meisten dieser Markierungen bestanden aus Buchstaben- oder Buchstaben-Zahlen-Kombinationen wie LL4, D, A6,7,8, NN und so fort. Ich konnte keine Systematik erkennen; jede Schublade enthielt etwa ein Dutzend dieser Reiter, deren Markierungen keinen erkennbaren Zusammenhang aufwiesen. Auf einem der Reiter war Wiederholung zu lesen, auf einem anderen Unget. Beide, wieder ein anderer war mit ??? gekennzeichnet. Ohne sie herauszunehmen, betrachtete ich einige dieser Akten. Wie Pickering Carmody erzählt hatte, enthielten sie vorwiegend Rechnungen. Daneben Quittungen und Memoranden, gelegentlich Briefe mit Geschäftsadressen und Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Bürohäusern oder Fabriken, aus deren Kaminen stolz Rauch aufstieg. Und es schienen sich tatsächlich unterzeichnete Verträge darin zu befinden, die gefaltet und von roten Bändern zusammengehalten wurden. Ich konnte nicht erkennen, wie die Papiere geordnet waren; jede Akte, die ich anschaute – ganz egal, wie sie bezeichnet war –, enthielt Papiere mit unzähligen unterschiedlichen Namen.
Der Rollladen des Pultes stand offen; ich setzte mich davor und besah die Fächer und kleinen Schubladen. Ich berührte nichts, ich betrachtete sie nur. Zwei Fläschchen von Daly’s Best Bookkeeping Ink, rot und schwarz, standen hier, eine kleine runde Pappschachtel mit Stahlfedern, drei hölzerne Federhalter, die an den Enden angenagt waren, ein rot und schwarz geflecktes Tuch, das offensichtlich zum Abstreifen der Federn diente. Daneben fünf neue lange blaue Umschläge, ein brauner Kautabakriegel, der mit einem roten Metallstern markiert war, und ein gefaltetes Blatt Papier. Das nahm ich heraus und breitete es aus. Der Name Jacob Pickering war in zwei Säulen etwa dreißig- bis vierzigmal untereinander geschrieben. Es war immer derselbe Name, im Stil
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