Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
nur für kurze Zeit von seinem Gesicht ablenken, ich war fasziniert davon; unmerklich bewegte es sich, als diese seltsam grauen Augen uns abtasteten und unsere Haut Pore für Pore erforschten. Ich musste meinen Blick schließlich abwenden, blickte mit geheucheltem Interesse auf meine Schuhe; meine Feigheit ließ mich erröten und sofort schuldig aussehen.
Das war der Inspektor der New Yorker Polizei, Thomas Byrnes, der berühmteste und berüchtigtste Polizist in der Stadt. Und wenn er persönlich erschienen war, dann handelte es sich um keine gewöhnliche Festnahme. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich nehme an, ich wollte die Angst abschütteln, wollte mich dem Mann als ebenbürtig erweisen und stellte ihm deshalb eine Frage; sie sollte hart und überzeugt klingen, was allerdings dabei herauskam, hatte den Beiklang des Humorvollen, so, als wollte ich den Anschein erwecken, ich scherzte nur. »Nun?«, fragte ich, »wollen Sie uns nicht auf unsere verfassungsgemäßen Rechte hinweisen?«
Sein Gesicht veränderte sich nicht, seine grauen Augen aber taxierten mich kurz und versuchten abzuschätzen, was diese Dreistigkeit zu bedeuten hatte. Als er feststellte, dass sie nichts zu bedeuten hatte, antwortete er ausdruckslos in einer eigentümlichen Mischung aus unkultivierter Sprache und einem seltsam ›e‹ und ›i‹, das er wohl für vornehm hielt. »Ich warne Sie; behalten Sie Ihre schwachsinnigen [nur sprach er es ›schwochsönnögen‹ aus] Bemerkungen für sich, oder Sie werden Ihr blaues Wunder erleben.« Eine seltsame Rede für einen Inspektor Byrnes, über die ich nicht, auch nicht im Stillen, lachen konnte.
Dann fuhren wir ein Dutzend Blocks schweigend unter der Hochbahn die 3rd Avenue hinunter, ratterten und holperten über die Pflastersteine; manchmal gerieten wir auf schneebedeckten Stellen ein wenig ins Rutschen. Julia starrte durch das kleine runde Fenster des Wagens auf die Straße; sie war wütend und vermied es, Byrnes anzublicken. Ich schaute manchmal zu ihm hin, die meiste Zeit aber sah ich auf den Boden oder hinaus auf die Straße. Der Himmel war bedeckt, die Geschäfte, an denen wir vorbeifuhren, waren nur schwach beleuchtet. Ich versuchte mich irgendwie abzulenken, doch es gelang mir nicht.
Wir fuhren am Cooper Institute vorbei, das genauso aussah, wie ich es in Erinnerung hatte, bogen dann nach links ab, wo 3rd und 4th sich zur Bowery vereinen. Wir ratterten einige Blocks weiter, immer unter der Hochbahntrasse; ein Zug, der gerade auf ihr entlangfuhr, verdunkelte den Himmel über uns noch mehr. Ein kleiner roter Funken- und Ascheschauer regnete von der Lokomotive auf uns herab, ein Funken traf die Kruppe des Pferdes, wo er schließlich verglühte, das Pferd allerdings hatte davon gar nichts mitbekommen. »Haben Sie mir nichts zu erzählen?«, fragte Byrnes plötzlich. Mich hob es fast aus dem Sitz, dann schüttelte ich den Kopf, Julia tat das Gleiche. Ein typischer Trick von ihm, dachte ich – das lange, lange Schweigen, dann die plötzliche Frage, die uns zum Reden bringen sollte, wenn wir nur gewusst hätten, was er von uns hören wollte. Aber mit meiner Vermutung lag ich gründlich daneben, denn er war uns meilenweit voraus. Seine Beweggründe waren anderer Natur.
Kurz darauf bogen wir nach rechts in die Bleecker. Drei kurze Blocks in der Bleecker, dann nach links – ich sah das Glasschild an der Straßenlaterne – in die Mulberry Street. Nach der Hälfte des Blocks hielten wir am linken Straßenrand, ich erblickte zwei große rechteckige Lampen, die den Treppenaufgang zu einem vierstöckigen Steingebäude beleuchteten. Die Schirme der Lampen waren grün gestrichen – es handelte sich um ein Polizeigebäude. Der Kutscher sprang von seinem Bock herab und öffnete den Schlag, Byrnes bedeutete Julia mit einer knappen Geste, auszusteigen. Der Kutscher – in Derby und braunem Mantel, auch er ein Polizist – stand wartend daneben; als ihr Fuß den Gehweg berührte, packte er sie fest am Arm. Byrnes ließ mir den Vortritt, folgte mir aber sofort danach, eine Hand fest um mein Handgelenk gelegt. Es ging schnell die Treppe hoch. Als der Polizist, immer noch Julia im Griff, eine der großen doppelten Türen öffnete, erkannte ich im Oberlicht der Tür die im Schatten liegenden vergoldeten Lettern: New-York Police Headquarters .
Drinnen, wir gingen schnell durch die mit Holzdielen ausgelegte Eingangshalle, vorbei an einem uniformierten, sehr stämmigen Polizisten an einem
Weitere Kostenlose Bücher