Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
ihm hoch. Anscheinend eine Nebenlinie, die, wie ich annahm, zur Hauptlinie auf der 3rd Avenue führte. Ich hatte nur einen vagen Plan, wenn man ihn überhaupt als solchen bezeichnen konnte. Es gab vier Treppenaufgänge zur Station, an jeder Straßenseite zwei, und die Station war der Endhaltepunkt der Linie. Wenn wir daher einen dieser Aufgänge hochrannten, hatten wir eine gute Chance, wenn die beiden Polizisten uns auf zwei Treppen nachfolgten, auf einer der anderen zu entkommen.
Das war alles, was mir einfiel. Als wir auf der Plattform standen, sagte ich leise zu Julia: »Spring runter und lauf los, wenn ich es dir sage.« Julia lächelte und nickte, als habe ich eine ganz gewöhnliche Bemerkung gemacht. Ich betrachtete den Fahrer, sah seine behandschuhten Hände die Zügel anziehen und spürte, wie mein Körper sich leicht nach vorne neigte, während wir abbremsten. Dann gab ich Julia ein Zeichen, wir sprangen ab und rannten. An dem Pferd vorbei, mitten auf der Straße, dann zwischen zwei Wagen hindurch, von denen einer hoch mit Fässern beladen war, auf den Gehweg. Wir flogen die Stufen hoch, nahmen zwei auf einmal, Julia vor mir; sie war genauso schnell wie ich.
Die Leute, die uns entgegenkamen, beachteten uns kaum, traten nur zu Seite und ließen uns vorbei. An der Grand Central, stellte ich fest, boten wir keinen ungewöhnlichen Anblick. Hinter uns hörte ich Schreie. Am Ende des Aufgangs drehte ich mich um und sah den größeren der Polizisten, der gerade die erste Stufe erreicht hatte – er war schneller, als ich vermutet hatte. Dann rannten wir in die Station. Im Inneren des Gebäudes gingen wir gemächlich weiter. Ich setzte ein Lächeln auf, als wir uns dem Fahrkartenschalter näherten, und holte zwei Nickel heraus. Während der Mann umständlich zwei Tickets von der Rolle abriss, zog mich Julia am Ärmel und wies mit dem Kinn auf den Zug, der auf den Gleisen stand. Er bestand aus nur einem Wagen und der Lokomotive, die hier am Ende der eingleisigen Linie, vor dem Waggon stehend, fast das Stationsgebäude berührte. Im Wagen saß ein alter Mann, seine gefalteten Hände und sein Kinn ruhten bequem auf seinem Spazierstock, geduldig wartete er auf die Abfahrt des Zuges. Am anderen Ende des Wagens sah der Schaffner aus dem Zugfenster auf die andere Straßenseite. Es war verlockend, aber als ich unsere Tickets in Empfang nahm, schüttelte ich den Kopf. Wir wären gefangen, wenn die Polizisten den Waggon von beiden Seiten betraten; das konnten wir nicht riskieren.
Also traten wir hinaus auf die Plattform, vorbei an der Lokomotive. Als ich zum Aufgang hinüberschaute, den wir hochgekommen waren, tauchten der Helm und das Gesicht eines Polizisten auf; er schaute sich um und erblickte uns. Julia und ich rannten die Plattform entlang zu den Treppen am gegenüberliegenden Ende. Wir passierten den Waggon und hörten den Schaffner, der das hüfthohe Metallgitter der offenen Plattform zuschlug. Die kleine Dampflokomotive hinter dem Wagen pfiff, ihr Antriebskolben setzte sich in Bewegung; dann rollte der Wagen an uns vorbei, und Julia stöhnte – wir hätten mitfahren sollen!
Aber nun war es zu spät. Die Lokomotive hinter dem Waggon, die sich auf ihrer Rückfahrt auf der eingleisigen Linie befand, gewann an Geschwindigkeit, der Schaffner schloss auch die hintere Plattformtür, und der Helm des zweiten Polizisten erschien vor uns auf den Stufen, auf die wir zuraunten. Sie hatten erraten, was wir vorhatten. Ich drehte mich um, auch der andere Polizist näherte sich keine zwanzig Meter hinter uns mit wackelndem Bauch.
Ich habe nie zu den Leuten gehört, die in Notsituationen schnell reagieren. Ich kann zwar einigermaßen schnell reagieren, gewöhnlich ist allerdings das, was ich dann tue, das Falsche. Diesmal tat ich jedoch, ohne viel zu überlegen, genau das Richtige. Während beide Polizisten auf uns zugerannt kamen, klammerten sich meine Arme wie die eisernen Klauen eines Riesen um Julias Hüften, hoben sie hoch und ließen sie auf der anderen Seite des hüfthohen Gitters der hinteren Wagenplattform wieder hinunter. Dann – der kleine Polizist wollte mich schon packen, seine Hand war am Kragen meines Mantels – sprang ich auf die offen stehende Tür des Führerhauses der Lokomotive, die gerade an mir vorbeikam, drehte mich schnell um, und der Polizist rannte mit seinem Gesicht direkt in meine ausgestreckte Faust. Er stolperte und starrte uns hinterher, während wir über das Ende der Bahnhofsplattform
Weitere Kostenlose Bücher