Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
konnten nicht einfach weiterhin durch die Straßen ziehen; innerhalb von kürzester Zeit hätten sie uns gefangen. Öffentliche Verkehrsmittel waren ebenso schlecht. Wir mussten sofort von den Straßen verschwinden. In eine Droschke, ging es mir durch Kopf, wo wir uns zurücklehnen und ungesehen durch die Stadt bewegen konnten, mit viel Zeit zum Nachdenken. Aber Byrnes kannte die Probleme von Leuten, die sich verbergen wollten. Sie brauchten Geld – und er hatte unseres an sich genommen.
»Julia, haben Sie irgendwelche Freunde, bei denen Sie sich für einige Tage verstecken können und die Ihnen Geld leihen?«
»Ja, in Brooklyn. Wir haben dort bis vor zwei Jahren gewohnt. Der einzige Freund hier, den ich fragen könnte, wohnt an der Lexington und der 61st und …«
»Zu weit, viel zu weit!«, unterbrach ich sie. »Wo sind wir, Julia, 41st? Wo ist die nächste Brücke? Vielleicht bewachen sie sie noch nicht und wir könnten …«
»Si, es gibt nur eine Brücke, Brooklyn, und die liegt weit unten, Downtown.«
Ich nickte, starrte auf die Schaufenster, an denen wir vorbeikamen, und versuchte zu erkennen, ob sich in ihnen jemand spiegelte, der uns verfolgte. Mehr als jemals zuvor wurde mir bewusst, dass Manhattan eine Insel war, und keine besonders große dazu. »Ich will nicht, dass wir auf einer Fähre wie ein Taubenpaar in der Falle sitzen. Wir brauchen Geld, verdammt noch mal! Um uns in ein Hotel zurückzuziehen, wo wir Mahlzeiten einnehmen können. Ich schlage vor, wir telefonieren mit deiner Tante …« Ich verstummte.
»Tun was?«
»Nichts.«
Aber sie hatte mich gehört. »Ich kenne niemanden, der ein Telefon besitzt. Oder jemanden, der jemals eines gesehen hat.«
»Ich weiß, ich weiß!«
»Wir könnten einen Botenjungen schicken. Es gibt hier in der Nähe ein Büro.«
»Aber wir müssen doch dort auf die Antwort warten?«
»Ja.«
»Wenn der Junge zurückkommt, wird der Polizist, der das Haus überwacht, ihm folgen. O Gott, wenn es nur Kinos gäbe! Wahrscheinlich könnten wir uns noch ein billiges leisten und dort sitzen und warten, bis es dunkel ist.«
»Kinos?«
Ich würde den Verstand verlieren, wenn das so weiterging. »Wir müssen uns trennen, Julia«, sagte ich. »Bis es dunkel ist. Sie suchen nach einem Paar; wir sollten es ihnen nicht so einfach machen. Es wird in vierzig Minuten, spätestens einer Stunde dunkel. Ich versuche, mich ins Haus zurückzuschleichen und Geld aus meinem Zimmer zu holen. Wir treffen uns in eineinhalb Stunden im Madison Square. Spazieren Sie über den Platz, als würden Sie irgendwohin gehen, und ich folge Ihnen dann. Wenn ich nicht da sein sollte, dann versuchen Sie es eine halbe Stunde später wieder. Dann brauchen Sie nicht mehr auf mich zu warten, und«, ich zuckte mit den Schultern, »alles Gute. Okay?« Bevor sie antworten konnte, sah ich in die Schaufenster eines Ladens, an dem wir vorbeigingen; der Eingang lag zwischen zwei Schaufenstern, deren Scheiben im Fünfundvierzig-Grad-Winkel zum Gehweg standen. Der halbe Block hinter uns spiegelte sich darin, und ich erblickte einen Mann, der uns offenbar verfolgte. Er trug gewöhnliche Straßenkleidung, einen Derby und einen langen Mantel, aber das alles konnte nicht verbergen, dass er Polizist war. Er bewegte sich auf Zehenspitzen vorwärts, ungefähr ein Football-Feld hinter uns. Ohne mich umzudrehen, sagte ich schnell und ruhig zu Julia: »Laufen Sie. Um die Ecke und dann weiter. Jetzt, jetzt sofort!«
Sie zögerte nicht oder verschwendete damit Zeit, sich umzudrehen, sondern hob den Rock an und rannte los. Ich wandte mich um und ging mitten auf die Straße. Dort drehte ich mich zum Gehweg und wartete. Und nun hatte der Mann, der uns folgte, die Wahl zwischen mir und Julia, wobei er, wenn er Julia folgte, mich im Rücken hatte und nicht wusste, was ich tat. Er musste sich für mich entscheiden und tat das sehr klug. Denn er rannte an mir vorbei, als folge er Julia, wirbelte dann aber herum und ging auf mich los. Ich stand neben einem Metallpfeiler der Hochbahntrasse und trat nun hinter diesen. Eine Weile standen wir so, reckten uns nach rechts und links, zwischen uns der Pfeiler, und belauerten uns gegenseitig. Dann sprang er vor, ich drückte mich vom Pfosten weg, und er lief mir nach.
Aber er konnte schießen, wahrscheinlich hätte er es auch getan, wenn ich zu schnell war und zu entkommen schien. Auf diese Entfernung hätte er mich kaum verfehlt. Weiterzulaufen war sinnlos, und ich tat das Einzige, was
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