Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
hinausfuhren.
Hier, im Eingang des Führerhauses, hatte mich der Lokomotivführer, der angestrengt vom Führerstand auf die vor ihm liegenden Gleise blickte, weder gesehen noch im Rattern und Schnaufen der Maschine gehört. Von hier aus konnte ich mich auch sofort orientieren; wir befanden uns unmittelbar über der 42nd Street und fuhren an der Grand Central Station vorbei nach Osten. Hier ist die Zeichnung, die ich später machte, sie zeigt unseren Zug nach der Abfahrt von der Grand Central Station und der Plattform der Hochbahnstation. Die 3rd Avenue, die wir ansteuerten, befindet sich rechts, und unter dem Zug die 42nd Street. Ich schaute nach oben und sah nur grauen, leeren winterlichen Himmel dort, wo sonst der hoch aufragende Turm des Chrysler Building mit seiner Nadelspitze in den Himmel stach. Ich schaute nach unten, und wo sich sonst das Erdgeschoss des Chrysler Building befand, war ein kleiner runder Ziegel- und Sandsteinturm, nur ein paar Meter höher als die Gleise der Hochbahn. Und in diesem Augenblick, dem Augenblick der Zeichnung, in dem ich mich durch diese teilweise bekannte, dennoch äußerst fremde und nun plötzlich feindselige Stadt bewegte, verspürte ich einen Anfall von Heimweh, der mich fast überwältigte. Ich musste meine Augen schließen, um das Gefühl zu überwinden.
Schon sehr kurze Zeit später bremsten wir ab und fuhren zwischen den beiden Armen der Bahnhofsstation am anderen Ende der zwei Blocks langen Linie ein. Es war nicht gänzlich unmöglich, sagte ich mir, dass die zwei Polizisten diese beiden Blocks an der 42nd Street entlanggerannt waren oder sich eine Kutsche genommen hatten; ich starrte hinaus auf das Gleis der 3rd Avenue und hoffte auf einen Zug, der uns sofort weiterbringen würde. Aber es war keiner in Sicht. Sobald neben mir der Holzboden der Plattform auftauchte, sprang ich ab – ich glaube nicht, dass mich der Lokführer überhaupt gesehen hatte –, und getragen vom Schwung der Zuggeschwindigkeit lief ich nach vorne zum langsamer werdenden Wagen. Julia stand am Ausgang, hinter ihr der Schaffner. »Das ist gegen die Vorschriften!«, rief er mir verärgert entgegen. Ich war mir nicht sicher, was er meinte: dass ich Julia über die Absperrung gehoben hatte oder dass ich auf der Lokomotive mitgefahren war. Ich sagte, es täte mir leid, und gab ihm unsere Tickets. Dann – ich wollte ihm zurufen, er solle das Gitter öffnen, fürchtete aber, dass er sich absichtlich Zeit lassen würde – holte er seine Lochzange heraus, entwertete sorgfältig unsere Fahrkarten und gab sie mir zurück; ich dankte ihm. Erst dann öffnete er die Ausgangstür und ließ Julia hinaus. Wir rannten auf die Treppe zu.
Ich bin überzeugt davon, dass die beiden Polizisten es bis hierher hätten schaffen können, um uns in Empfang zu nehmen, als wir auf den Gehweg der 3rd und 42nd Street traten, wenn sie es nur versucht hätten. Aber sie hatten sich wahrscheinlich beim Laufen völlig verausgabt. Niemand wartete auf uns. Auf der Straßenseite gegenüber aber drehte ein Polizist seine Runde, sah über die beiden Schwingtüren in einen Saloon und schlenderte dann auf dem Gehsteig zur Ecke, wo er sich wie ein professioneller Entertainer aufbaute und seinen Schlagstock schwingen und kreisen ließ. Ich hatte das Gefühl, dass er sich in seiner Arbeitszeit weit mehr mit Kunststücken an seinem Schlagstock befasste als mit der Jagd auf Übeltäter. Als wir in die 3rd Avenue einbogen und sie nach Süden hinabgingen, um uns so schnell wie möglich von ihm zu entfernen, ohne den Anschein unnötiger Eile zu erwecken, war ich froh, dass er dieses Steckenpferd hatte. Julia blickte mich fragend an; ich verstand. Waren auch in seinem Helm unsere Fotografien? Ich zuckte mit den Schultern. Wenn nicht, dann würden sie es bald sein. Jeder Polizist in der Stadt dürfte sie bald haben und an die nächste Schicht weitergeben, außerdem würden zusätzliche Polizisten, auch in Zivil, die Straßen durchstreifen. Die Belohnung, die Carmody Byrnes fast öffentlich angeboten hatte, war bestimmt nicht klein, wenn wir gefangen und verurteilt oder ›auf der Flucht erschossen‹ würden; das Wie spielte keine Rolle. Denn Byrnes war klug: Unsere ›Flucht‹ würde natürlich als Geständnis aufgefasst werden.
Der Polizist an der Ecke war nun einen halben Block hinter uns und hatte uns nicht einmal wahrgenommen. Aber beim nächsten konnte das bereits anders sein, und wenn nicht bei ihm, dann beim übernächsten. Wir
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