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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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hatte weiße Haare und trug einen Herrenmantel ohne Knöpfe, der mit einer Schnur um die Taille gebunden war. Ihre Schuhe waren an den Seiten aufgerissen und um den Kopf hatte sie ein zerlumptes Tuch geknüpft. Ein Korb hing an ihrem Arm, der mit glänzend roten Äpfeln gefüllt war; mitten auf dem Gehweg blieb sie jetzt stehen und begann mit krächzender Stimme ihr Lied: »Äpfel, Äpfel, Äpfel, kauft eure Äpfel, kauft sie jetzt. Äpfel, Äpfel, Marys beste Äpfel! Geschwind, geschwind, kauft eure Äpfel, Marys beste Äpfel, kauft sie jetzt.« Ich beobachtete sie; nur einer von den drei oder vier Männern, die ihr eine Münze gaben, nahm sich auch einen Apfel, betrat aber nicht das Theater, sondern ging weiter und aß ihn. Die anderen Männer kamen herein oder blieben auf dem Gehweg stehen.
    Immer wieder fuhren Kutschen vor und luden am Gehweg ihre Gäste ab. Nun kam die Nächste, und eine Familie stieg aus, alle in Abendgarderobe: ein bärtiger Vater mit einem rubinroten Kragenknopf in seinem steifen Hemd, die Mutter, eine freundlich lächelnde Frau in einem rosaroten Kleid und grauem Umhang, und die beiden Töchter. Eine Mitte zwanzig, die andere jünger. Beide hatten ihren Umhang über den Arm gelegt, die Schultern waren nackt; eine trug ein graues Kleid, das mit roten Schleifen besetzt war, die Jüngere ein wunderschönes Samtkleid, unverziert, in einem satten hellen Frühlingsgrün. Sie wirkte bezaubernd, als sie lächelnd durch die Tür schritt, die ihr Vater ihr offen hielt.
    Im Foyer trafen sie Freunde, unterhielten sich, lachten. Ich hätte gerne gelauscht, konnte aber nicht: Ich starrte weiterhin auf Mary, die draußen ihren Singsang vortrug. Und kaum eine Minute später erschien er, auch er in Abendgarderobe, bis auf den Schnurrbart glatt rasiert, er bewegte sich elegant durch die Gruppen auf dem Gehweg, ein schlanker, sehr großer schöner Mann in den Zwanzigern. Die Foyertüren gingen ständig auf und zu, und als er draußen neben Apple-Mary stehen blieb, hörte ich ihn die Worte sagen, die ich für ihn fast hätte wiederholen können. »Da bist du ja, Mary. Viel Glück für dich und viel Glück für mich!« Ich sah das Aufblitzen von Gold, als er eine Münze in ihre Hand fallen ließ. Sie starrte in ihre Hand, dann blickte sie zu ihm auf. »Der Herr segne Sie, Sir, oh, der Herr segne Sie!«, sagte sie laut, und dann sprachen meine Lippen lautlos ihre Worte mit. »Dieser Abend wird Ihnen Glück und Segen bringen; vergessen Sie meine Worte nicht!«
    Ich schaute schnell nach links. Die Familie verabschiedete sich gerade von ihren Freunden und wandte sich langsam der Treppe zu, während diese sich eben auf den Weg zu den Türen des großen Saals machen wollten. Und der Mann, den ich auf dem Gehweg beobachtet hatte, schlenderte auf die Tür neben mir zu; seine Hand legte sich auf den Türgriff. Meine eigene Hand kam aus der Brusttasche des Anzugs hervor, die andere stieß die Tür auf. »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte ich lächelnd und verstellte ihm den Weg. Langsam führte ich die Zigarre in der Hand an den Mund. »Haben Sie vielleicht Feuer?«
    »Gewiss.« Er holte ein Streichholz hervor, hob den Fuß, um es am trockenen Teil der Sohle zu entzünden, und brachte dann das flackernde Holz an meine Zigarre. Zu Tode betrübt zog ich den Kopf ein, ich konnte ihm nicht in die Augen schauen, und rauchte meine Zigarre an.
    »Danke«, sagte ich dann. Aus einem Augenwinkel heraus sah ich die Treppe zum Balkon, auf der das Mädchen im blassgrünen Kleid gerade hochging. »Bitte«, der Mann vor der Tür schüttelte das Streichholz aus, dann trat er an mir vorbei ins Foyer und blickte sich um. Aber es gab nun nichts mehr, das sein Interesse hätte wecken können. Auf der Treppe blitzte zum letzten Mal der grüne Samt auf, aber ich glaube nicht, dass er ihn überhaupt wahrgenommen hat. Aus der Tasche seiner weißen Weste zog er ein Billet und durchquerte dann das Foyer des Theaters.
    Als ich die dunkle Seitenstraße östlich des Broadway entlangging, die Hände in den Manteltaschen vergraben, wurde mir seltsam bewusst, dass, sollte ich noch einmal das große Backsteinlagerhaus mit der Aufschrift Beekey’s betreten – obwohl ich wusste, dass das nicht mehr geschehen würde –, ich dann vor sechs Stockwerken stehen würde, die mit Haushaltswaren gefüllt waren. Und sollte ich in der Army nach einem Major namens Rube Prien suchen, dann würde ich jetzt einen zähen, kleinen, ehemaligen Football-Spieler finden, der

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