Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
Niemandsland zwischen zwei Welten und Zeiten.
Es schneite zwar nicht, aber den ganzen Tag über war der Februarhimmel so trüb und voller tief hängender Wolken gewesen, dass es aussah, als würde jeden Moment Schnee fallen. Schließlich, lange nach Einbruch der Dunkelheit, verließ ich das Apartment, ging die Treppe hinab zur Straße und wandte mich dem Park zu. Es waren viele Autos unterwegs; ihre Reifen hörten sich nass an auf dem Teer. An der Bordsteinkante blieb ich stehen. Dann sprang die Ampel auf Grün um, ich überquerte die Straße und ging in den Park hinein, fand eine Bank und setzte mich. Ich wartete dann, tief in dem Park, in der Stille, wartete auf die Veränderung, auf ihre Verdichtung. Als ich schließlich aufstand und mich zwischen den Bäumen umblickte, die vom Licht des nächtlichen Himmels, das vom Schnee reflektiert wurde, erhellt waren, sah der Park nicht anders aus. Aber ich wusste mit absoluter Sicherheit, in welcher Zeit ich mich befand; als ich ihn an der 5th Avenue wieder verließ, ratterte langsam ein leichter Lieferwagen vorbei, das Pferd war müde, es hielt den Kopf gesenkt, unter der Hinterachse baumelte wie üblich eine Petroleumlampe. Auf dem Gehweg kam mir eine Frau mit schwarzem Federhut entgegen, die ein Pelzcape um die Schultern trug; ihr langes dunkles Kleid hielt sie ein wenig an der Seite gerafft, damit es nicht mit den nassen Pflastersteinen in Berührung kam.
Ich wandte mich nach Süden, der schmalen, stillen von Wohnhäusern gesäumten 5th Avenue zu, und während ich sie entlangschlenderte, warf ich immer wieder Blicke in die von gelben Lichtern erhellten Fenster: ein kahlköpfiger bärtiger Mann, der die Abendzeitung las, das Licht des offenen Kamins, den ich nicht sah, spiegelte sich rötlich im Fenster; ein Hausmädchen mit weißer Haube und Schürze durchquerte einen Raum; ein nicht mehr ganz frischer Christbaum, dessen Kerzen eine Frau zur Freude ihres fünfjährigen Jungen anzündete.
Es war ein langer Weg; ich dachte nicht nach, ich wollte nur erforschen, welche Gefühle sich bei mir einstellten. Dann stand ich neben dem Eisengeländer des Parkzauns und starrte auf die hohen erleuchteten Fenster von Gramercy Park neunzehn. Einige Minuten lang stand ich da, jemand schritt schnell an einem der unteren Fenster vorbei, ich konnte aber nicht erkennen, wer es war. Ich stand da, bis mir kalt wurde und die Füße taub waren, aber ich ging nicht hinein; nach einer Weile entfernte ich mich mit schnellen Schritten.
Und dann vom Madison Square den Broadway in nördliche Richtung hinauf, das Rialto entlang, an dem sich New Yorks Theater befanden, als der Broadway noch ein Broadway war. Die Straße war voller glänzender, hochpolierter Kutschen, die Gehwege voller Leute, sehr viele davon in Abendkleidung. Die Nacht war erfüllt von ihrer Lebendigkeit; ein Gefühl von Aufregung und Vergnügen hing in der Luft.
Aber ich gehörte nicht dazu. Ich eilte an den erleuchteten Theatern, den Restaurants und den großen Hotels vorbei, bis ich zwischen der 29th und der 30th das Gilsey House erreicht hatte. Dort, am Zigarrenschalter des Foyers, kaufte ich eine Zigarre, ein langes dünnes Exemplar, und brachte es sorgfältig in der Brusttasche meiner Jacke unter. Dann überquerte ich die 30th Street und blieb vor einem Theater stehen, das nagelneu aussah: Wallack’s. The Money Spinners stand in großen schwarzen Lettern auf den Schildern neben den Eingängen. Vor mir faltete ein Mann mit einem Stock mit Silberknauf seinen Chapeau claque zusammen und hielt der jungen Frau, die ihn begleitete, die Tür auf. Sie gingen hinein, ich folgte ihnen und betrat ein überwältigend schönes Foyer; dunkelblauer und kastanienbrauner Samt, funkelnde goldene und silberne Ornamente; dunkel lackiertes Holz und reich verzierte Kronleuchter. Zwei Treppenaufgänge schwangen sich am Ende des Foyers zu den Balkonen empor. Am Kartenschalter, vor dem sich eine kleine Schlange gebildet hatte, las ich die eingerahmte Preistafel: Parkett und Orchester unten $ 1,50; Erste Reihe $ 2,00; Zweite und dritte Reihe $ 1,50; nächste fünf Reihen $ 1,00; nächste Reihen 75 ¢ und 50 ¢.
Ich warf einen Blick durch die großen gläsernen Eingangstüren; die Frau, auf die ich wartete, war noch nicht hier. Ich stellte mich an eine Wand und nahm das aufgeregte Stimmengewirr des Foyers in mich auf. Einige wenige Minuten vergingen; dann sah ich sie, mit gebeugtem Rücken und kleinen trippelnden Schritten kam sie näher. Sie
Weitere Kostenlose Bücher