Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
noch gar nicht entdeckt worden sein. Ich würde es gerne wissen, doch das wird wahrscheinlich niemals möglich sein. Aber ich werde Ihnen dabei auf gar keinen Fall helfen. Sie sind ein liebenswürdiger Mensch, aber ein Unruhestifter, ein unverantwortlicher Störenfried.« Mit steifen Bewegungen zog er sich den Mantel an. »Also packen Sie Ihre Schätze zusammen, Rube, und gehen Sie nach Hause. Das Projekt ist tot.«
»Okay.« Rube lächelte, als er aufstand; es war ein so offenes Lächeln, dass Danziger instinktiv zurücklächelte. Rube räumte alle Gegenstände auf dem Tisch zusammen und tat sie in die Ledertasche zurück. »Ich gehe mit Ihnen nach unten.«
In dem kleinen Büro im Erdgeschoss sah sich Dr. Danziger um; er hatte nun den Hut auf und knöpfte sich gerade den Mantel zu. »Nun, das Projekt gehört der Vergangenheit an, und ich werde nicht mehr hierher zurückkehren. Aber was immer ich auch empfinden sollte – ich fühle mich vor allem erleichtert.« Fragend sah er Rube an, der mit seinem braunen Hut in der Hand auf ihn wartete; Rube hob resigniert die Schultern, Danziger nickte. »Ja«, sagte er, »Ihnen hat das mehr bedeutet als mir. Sehr viel mehr sogar, glaube ich. Können wir?«
Rube nickte, setzte seinen Hut auf und schaute sich noch einmal in dem Büro um; er war, so schien es Danziger, noch immer nicht bereit, endgültig Abschied zu nehmen. Schließlich trat Rube an eine Wand und löste die kleine gerahmte Fotografie einer bärtigen Mannschaft von ihr ab, die vor einem alten Umzugslaster versammelt war; in weißer Tinte stand darunter The Gang . »Hier« – er bot es Danziger an. »Wollen Sie ein Souvenir?«
Danziger zögerte, dann nickte er. »Ja. Danke.« Er nahm die Fotografie und steckte sie in seine Manteltasche. Rube wählte sich ebenfalls ein Foto aus und ging zum Eingang. Nachdem er Danziger an sich vorbeigelassen hatte, knipste er das Licht aus und trat hinaus. Er zog er die Tür hinter sich zu, verschloss sie mit einem Schlüssel, den er aus der Brusttasche seines Mantels gezogen hatte. »In welche Richtung gehen Sie, Dr. Danziger?«
»In östliche, dann mit dem Bus nach Hause.«
»Nun, ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder, Dr. Danziger.«
»Ja, ich hoffe, ich sehe Sie wieder, Rube. Wirklich. Aber das sollten wir dem Schicksal überlassen, okay?«
»Okay.« Sie gaben sich die Hand, verabschiedeten sich und gingen auseinander. Nach ein paar Schritten blieb Rube stehen und betrachtete den Schlüssel in seiner Hand. Er sah zu Danziger zurück, der sich immer mehr von ihm entfernte, dann blickte er auf die Backsteinmauer neben sich und die verwitterte Schrift unterhalb der Regenrinne. Seine Finger schlossen sich fest um den Schlüssel, dann drehte er sich halb zur Seite und warf ihn mit aller Kraft, so hoch und so weit er konnte, über die Straße hinüber. Er wartete einen Augenblick und hörte dann ein metallisches Klirren, irgendwo zwischen den hohen Reihen zusammengepresster Autokarosserien, die sich hinter dem Zaun auf der anderen Straßenseite befanden. Dann machte er sich auf den Heimweg.
9
Als ein paar Minuten vor vier Uhr morgens das Telefon klingelte, war Rube Prien sofort hellwach. Er nahm den Hörer ab, sah auf seine Uhr und meldete sich, noch bevor es ein zweites Mal klingeln konnte. Er freute sich über seine schnelle Reaktion, obwohl er sich ärgerte, dass er ebenso schlaftrunken war wie jeder andere auch um diese Zeit.
»Rube, hier ist Danz…«
»Hallo, Dr. Danziger.«
»Es tut mir furchtbar leid …«
»Keine Ursache. Ich bin überzeugt, Sie haben einen guten Grund.«
»Den habe ich, glauben Sie mir. Rube – die Zeitung, die Sie mir im Projekt gezeigt haben, die alte Zeitung.«
»Den New York Courier .«
»Ja. Rube, bitte, ziehen Sie sich an und bringen Sie sie mit. Ich würde zu Ihnen kommen, aber …«
»Bin in vier Minuten angezogen und zur Tür raus.«
»Es dauert so lange, verstehen Sie. In meinem Alter dauert es ewig, bis ich hoch- und in die Gänge komme. Und das hier kann nicht warten.«
»Bin schon unterwegs.«
»Mit der Zeitung?«
»Worauf Sie sich verlassen können.«
Das Esszimmer war ein sehr hoher Raum mit Ausblick auf die West End Avenue. Rube zog sich auf Dr. Danzigers Geste einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm an den Tisch. Die beiden boten einen recht ungewöhnlichen Anblick: Während der eine eine braune Hose und einen schwarzen Pullover trug, hatte der verstrubbelt aussehende Danziger seinen Pyjama, einen
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