Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
dunkelbraunen Morgenmantel und Pantoffeln an. Er setzte sich die Brille auf die Nase und breitete auf dem Tisch die an den Rändern vergilbte Zeitung aus. Er ging die Spalten der ersten Seite durch, das Licht des Kronleuchters über ihm spiegelte sich auf seinem Kopf. »Es dauert ein wenig. Ich will nur ganz sicher sein.«
Schließlich blätterte er die erste Seite um und schlug die Zeitung ganz auf. »Das Format ist etwas größer als das heutiger Zeitungen«, dachte Rube. Danziger, der noch immer die Seiten Spalte für Spalte durchging – sein Kopf vollführte dabei regelmäßige Bewegungen –, zog geistesabwesend einen Stuhl zu sich und ließ sich langsam darauf nieder. Jedes Mal, wenn sein Kopf sich senkte, rutschte die Brille ein wenig nach vorn, jedes Mal, wenn er auf den Anfang der nächsten Spalte wechselte, und sich sein Kopf ein wenig hob, wanderte auch sein großer Zeigefinger nach oben und rückte die Brille wieder zurecht.
Die Zeit verging; von der Straße, fünf Stockwerke tiefer gelegen, war nichts zu hören, die Stadt war so ruhig, wie sie nur sein konnte. Rube ergriff die Gelegenheit, sich umzusehen; er war niemals zuvor hier gewesen. Die Fenster waren dunkel, nur das gedämpfte Licht einer Straßenlampe fiel auf sie. Er fühlte sich nicht müde; sein Geist war wach, gelassen und aufmerksam, nur sein Körper sagte ihm, dass er zu dieser Zeit gewöhnlich nicht wach war. Der alte Mann, dachte er, las diagonal; schnell und aufmerksam ging er die schmalen Spalten durch.
Danziger blätterte um, eine Doppelseite mit Anzeigen erschien. Rube beugte sich vor, um die auf dem Kopf stehenden Überschriften zu lesen: Wohnungen und Einzimmerapartments … Möblierte Zimmer … Pensionen. Eine weitere Seite: Zu verkaufen … Pferde, Kutschen … Zwei Seiten mit Aushilfen gesucht – Weiblich und Aushilfen gesucht – Männlich. Danziger sah sich offensichtlich jede Anzeige an.
»Tut mir leid«, sagte er und sah auf, als er wieder umblätterte. »Höchst unwahrscheinlich, hier etwas zu finden, aber wir müssen sichergehen.« Sein Kopf nahm erneut die gleichmäßigen Auf- und Abbewegungen auf. Zwei Seiten mit Gesellschaft … dann Sport. Rube wartete geduldig, nur seine Augen glänzten erwartungsvoll.
Dann die letzte, die Rückseite, die Danziger eingehend von oben links nach unten rechts studierte. Dann faltete er die Zeitung zusammen und schob sie Rube hinüber. Er nahm die Brille ab und steckte sie in die Brusttasche seines Morgenrocks. »Sie haben Sie gelesen, oder? Die ganze Zeitung?«
»Nach meiner Methode.«
»Und? Was gefunden?«
»Nun.« Rube drehte die Zeitung so, dass er die Schlagzeilen der ersten Seite lesen konnte. »Bei der Titelgeschichte Präsident drängt auf Handelsausgleich « – er lächelte – »habe ich vielleicht das eine oder andere Wort übersprungen. Und … die Nachrichten aus Europa. Nicht sehr viele, und ich fürchte, ich habe auch die nicht besonders aufmerksam gelesen. Es gibt noch ein Lokalereignis: Eine Droschke fuhr über den Bürgersteig der 14th Str…«
»Ja. Sonst noch etwas?«
Rube zuckte die Schultern. »Habe einen Blick auf die Anzeigen geworfen. Theater, Mode, Cartoons. Sport. Das habe ich ziemlich aufmerksam gelesen, interessiert mich einfach. Die Leitartikel habe ich ausgelassen.«
»Ja.« Danziger nickte; er war mit sich selbst zufrieden. »So, wie wir alle alte Zeitungen lesen. Als Sammelsurium von Kuriositäten. Und deswegen haben wir auch die Hauptsache übersehen.«
»Haben wir das? Fahren Sie bitte fort.«
Danziger stützte sich bequem auf, sein großer Zeigefinger klopfte auf die Titelzeile, die er laut vorlas. »The New York Courier. Abendausgabe. Letzte Sportnachrichten.« Er schaute zu Rube hoch und lehnte sich bequem zurück. »Eine alte, längst vergessene Zeitung, eine von vielen aus den glorreichen Tagen New Yorks, als noch Dutzende von Zeitungen erschienen. Nun, der Courier stellte sein Erscheinen, wie Sie sagten, 1912 ein; es gibt genug Aufzeichnungen, die das bestätigen. Und dennoch liegt hier vor uns eine Ausgabe vom 22. Februar 1916« – sein Zeigefinger tippte auf das Datum. »Sie haben das erkannt. Ich ebenfalls, und wir beide haben doch nicht die Hauptsache bemerkt, die Schlüsselstelle, den Hund, wie Sherlock Holmes sagte, der bellen sollte … es aber nicht tat. Betrachten Sie noch einmal das Datum.«
Rube gehorchte, starrte auf die Zeile, in der das Datum stand, fixierte es ein oder zwei Sekunden lang, dann hob er
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