Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
zu, die ein paar Schritte vor dem Pier auf sie gewartet zu haben schien; dabei warf Frank einen Blick um sich und entdeckte mich. Sofort lächelte er, winkte mich zu sich, und ich gesellte mich zu ihnen. Die junge Frau ergriff beide Hände von Mrs. Coffyn und sie küssten sich auf die Wange. Ich nahm den Hut ab, als Frank mich seiner Frau vorstellte, die mich mit fröhlichem und lebhaftem Interesse begrüßte. Dann stellte er mich der sehr attraktiven Harriet Quimby vor, einer Fliegerin. »Sie wird bald die erste Frau sein, die den Kanal zwischen England und Frankreich überquert«, sagte Frank zu mir.
»Sie wird es jedenfalls bald versuchen«, verbesserte sie ihn. »In der Zwischenzeit bin ich mit viel Profanerem beschäftigt, als Theaterrezensentin für Leslie’s Weekly .« Beinahe wäre mir rausgerutscht, dass ich auch für Leslie’s gearbeitet hatte. Stattdessen sagte ich: »Wahrhaftig! Schauen Sie sich auch The Greyhound an?« Dann sprachen wir einige Zeit darüber.
Sie gefiel mir, diese Harriet Quimby; ich war beeindruckt. Viel später, in einer Zeit am Ende dieses Jahrhunderts, saß ich im Lesesaal der New Yorker Public Library und blätterte im Who was Who; ich hatte nicht erwartet, Harriet Quimby zu finden, da ich niemals mehr etwas von ihr gehört hatte. Aber ihr Name stand da: Harriet Quimby überquerte den Kanal. Alleine. Sie war die erste Frau, die das tat. Am 16. April 1912. Der Eintrag aber verzeichnete auch ihr Todesdatum einige Monate danach. Sie starb bei einem Flugunfall. Aber nicht jetzt, noch nicht, nicht an diesem Tag.
»Ihr beide wollt jetzt also los?«, fragte Frank. »Ja, aber wenn du mit Mr. Morley startest, dann bleiben wir noch einen Moment«, sagte Mrs. Coffyn und lächelte mir charmant zu. Und dann gingen wir gemeinsam zum Pier. In Gegenwart einer jungen und liebenswürdigen Fliegerin, die in einem dieser zerbrechlichen Gestelle alleine den Kanal überqueren wollte … in Gegenwart einer Frau, die gerade aus diesem schrecklichen Ding gestiegen war, das nun dort vor mir lag … ging ich mit, ich, der Verurteilte, der in seiner Hilflosigkeit nichts anderes tun konnte, als sich der Prozession anzuschließen, die vor seiner offenen Zellentür wartete. Über das Gras zum Pier und dem Ruderboot, hinaus auf den ›Styx‹. Dann zum Floß und – oh Gott – dort wartete die schreckliche Konstruktion aus Stoff und Sperrholz.
Ich stand auf den roh gezimmerten Holzbalken des Floßes neben dem Flugzeug, während Frank das Boot festmachte. »Frank«, sagte ich, »das ist mehr als nur ein Rundflug. Ich möchte ganz Manhattan überfliegen, um nach einem bestimmten Gebäude zu suchen. Ein Gebäude, nehme ich an, das aussieht wie ein Schiff. Das einen Kiel wie die Mauretania besitzt.«
Er dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Kenne kein solches Gebäude. Aber wenn es das gibt, dann finden wir es auch.«
»Ich werde Ihnen mehr als nur fünf Dollar zahlen.«
»In Ordnung. Werden sehen, wie lange es dauert. Wird wahrscheinlich nicht allzu teuer werden.«
Er stand auf, das Floß schaukelte auf eine Art und Weise, die mir alles andere als behagte; sollte ich mir an den Magen greifen und behaupten, ich würde seekrank? Das Ding besaß zwei kleine Korbsitze, die hintereinander in dem zerbrechlichen Rumpf befestigt waren. Frank ging um den Bug der Maschine herum; ich beobachtete ihn, trat dann wie er zuerst auf den Rumpf und schwang mich dann in meinen schrecklich kleinen Sitz; Frank nahm hinter mir Platz. Es gab einen Ledergurt, wie man ihn auf einem elektrischen Stuhl findet, den ich um die Taille legte. Frank beugte sich vor und reichte mir eine Brille, ich zwang meine Wangenmuskulatur zur Imitation dessen, was mir an Lächeln noch erinnerlich war, und setzte sie auf; klares Glas, ohne Flecken.
Frank startete den Motor. Dann fuhr er hinaus auf den Hudson.
Wir mussten warten und ein wenig zur Seite rücken, um einen Schlepper vorbeizulassen: er schien zur St. Louis unterwegs zu sein. Frank fuhr in eine weite Flussbiegung, drehte um, hinein in das Wenige, was an Wind da war, und dann – ich wollte meine Augen schließen, tat es aber dann doch nicht – holperten wir über die kleinen Wellen vorwärts, feine Gischt spritzte über den Rumpf auf mein Gesicht und die Brille, die ich mit dem Ärmel abwischte. Plötzlich war das Rumpeln vorüber, und in einer Höhe von nur wenigen Metern über der Wasseroberfläche flogen wir am Pier vorbei; ich erhaschte einen schnellen Blick von
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