Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
tat das Fleisch in den Eiskasten und stellte mir den Jungen draußen auf der Straße vor, wie er auf den Sitz seines leichten Lieferwagens hochkletterte, an dessen Seiten die Leinwand des Verdecks im Sommer hochgerafft werden konnte. Wenn es schneite, was nun jeden Tag der Fall sein konnte, würde er, wie ich wusste, auf einen großen Schlitten ausweichen.
Das Fleisch, das ich auf das klein gehackte Eis legte, war in grobes Metzgerpapier eingewickelt und mit einer Schnur verschnürt – gummiertes Papierband oder Zellophan waren nicht erlaubt. Am ersten Tag war das vergessen worden, aber irgendjemand achtete nun anscheinend darauf; es war nicht wieder vorgekommen. Butter und Schmalz waren in dasselbe derbe Papier eingepackt und lagen in bauchigen Schalen aus dünnem Holz.
Die Kartoffeln brutzelten auf dem großen schwarzen Kohleherd vor sich hin, und ich stand aufmerksam daneben und wendete sie hin und wieder. Mir gefiel es in der Küche; ein riesiger Raum mit viel Platz für einen großen runden Holztisch und vier hohe Holzstühle in der Mitte. Der Herd war so groß wie ein Büroschreibtisch und mit gusseisernen Ornamenten verziert. Ein hoher hölzerner Küchenschrank nahm, vom Boden bis zur Decke reichend, eine ganze Seite ein und enthielt hinter Türen mit Glasscheiben das gesamte Porzellangeschirr, die Gläser, Töpfe und Pfannen.
Ein schöner Raum, vom Feuer angenehm erwärmt; die Fenster waren vom Küchendunst beschlagen. Ich ging vom Herd zum Schrank, entnahm dem großen roten Brotkasten einen halben Laib Brot und schnitt drei dicke Scheiben ab. Ich wusste, ich würde sie alle drei essen; dieses Brot war das Einzige, das mir gut schmeckte. Wahrscheinlich hielt es mich am Leben, dachte ich im Stillen. Ich sprach nicht mit mir selbst, noch nicht. Es war selbst gemachtes Brot, gebacken von einer Irin, die es an der Haustür verkaufte.
Das Kotelett war fast fertig, soweit ich das beurteilen konnte. Mit einer kleinen hölzernen, phantasievoll verzierten Kaffeemühle mahlte ich Kaffee, füllte den blechernen Kaffeetopf und stellte ihn auf den Herd.
Ich hatte mir angewöhnt, fast alle Mahlzeiten in der Küche einzunehmen; es war bequemer, als das Essen und die Teller und das Besteck durch die Wohnung zu tragen. Und abends, wenn das Essen fertig war, saß ich gewöhnlich in der Küche und las dabei das Abendblatt, das jeden Abend ausgetragen wurde. Es war der 10. Januar, also las ich das druckfrische Exemplar der New York Evening Sun vom 10. Januar 1882. Ich saß da, las, aß – das Kotelett war in Ordnung, vielleicht ein wenig zu trocken, die halb rohen Kartoffeln aber hätte selbst ein ausgehungerter Geier stehen lassen –, zog meine Uhr heraus und drückte den kleinen Stift, der den Golddeckel aufschnappen ließ; sie zeigte kurz nach sieben Uhr an, vier Minuten mehr als die Küchenuhr, die noch nicht geschlagen hatte. Ich wusste nicht, welche der beiden Uhren richtig ging, aber es kümmerte mich auch nicht; der Abend, der vor mir lag, würde nicht besonders aufregend werden. Es war sieben Uhr, es würde sieben Uhr dreißig werden, bis ich mit dem Abwasch fertig war. Dann würde ich Patiencen legen, bis etwa um neun Uhr, zu Bett gehen und Frank Leslie’s Illustrated Newspaper von dieser Woche lesen, die der Postbote auf seiner zweiten Nachmittagsrunde zustellte.
Einige Tage später allerdings erhielt ich Gesellschaft. Ich wusch gerade nach dem Essen das Geschirr ab, was mir, nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, nichts mehr ausmachte. Ich bin so etwas wie ein Tagträumer, was mich schon oft in Schwierigkeiten gebracht hat. Es fing bereits im Kindergarten an, als ich einmal mit einem Zettel nach Hause geschickt wurde, der meinen Eltern mitteilte, ich sei ein ›Traumtänzer‹. Aber niemand in der Familie kümmerte sich darum, also wurde nichts dagegen unternommen, und ich blieb ein Traumtänzer. Wenn ich Routinearbeiten wie Geschirrspülen erledige, dann gleite ich oft in Tagträume ab.
So auch an diesem Abend, wie an fast allen Abenden, wenn ich mit dem Geschirr beschäftigt war. Ich stellte mir vor, was hier und in der Stadt möglicherweise vor sich gehen mochte. Ginge ich ins Wohnzimmer hinüber und blickte hinab, könnte ich einen Einspänner sehen, der flott unter den Lampen und den kahlen Bäumen vorbeiführe. In Wirklichkeit sah ich nicht sehr oft aus dem Fenster, und wenn ich es tat, dann eher zum Park hinüber, spät abends oder sehr früh am Morgen. Denn ich befand mich natürlich im
Weitere Kostenlose Bücher