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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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angenehm und ruhig, bis auf das leise Zischen des Gasstroms und das gelegentliche Rütteln des Windes, der gegen das Fenster blies, war nichts zu hören. Ich lehnte mich zurück, streckte die Beine aus, hielt die Tasse auf dem Schoß und starrte auf die blau geränderten Flammen, die hinter den gravierten Glasschirmen wie winzige mittelalterliche Axtblätter aussahen.
    Ich hatte alles Denken eingestellt und saß entspannt da, mit einer fast vollständigen Leere im Kopf; nur ein Bild formte sich, ohne mein Zutun, plötzlich in meiner Vorstellung: Leute, die noch unterwegs waren, weiter im Süden, im Zentrum, den geschäftigen Vierteln der Stadt. Ich sah sie gegen den peitschenden Schnee gebeugt sich vorwärtskämpfen, die Männer hielten ihre Melonen fest, die Hände der Frauen waren tief im Muff vergraben. Auf den Straßen kamen die Hufe der Pferde ins Rutschen, als sie nach einem Halt suchten. Einen Augenblick lang sah ich vor meinem inneren Auge den halb erhobenen, vor Schneematsch triefenden Huf eines Pferdes, die Fesseln von grauem Schnee umgeben. Und nun konnte ich die Stadt um mich herum förmlich – nicht sehen, das wäre nicht das richtige Wort –, spüren, die ganze Stadt mit all den Menschen in ihren Häusern, die wie ich vor den weichen gelben Lichtern von Millionen Gasflammen saßen.
    Ich mochte mich nicht bewegen; draußen war es so weiß und so still; die Flocken trieben an meinem Fenster vorbei. Hier drinnen war es angenehm, die Schatten bewegten sich hin und wieder, wenn die Flammen flackerten. Noch immer wollte ich meinen Kaffee trinken, tat es aber nicht. Schließlich setzte ich die Tasse ab, zwang mich aufzustehen und ging zum hintersten Fenster, um das Rouleau herunterzulassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand merken würde, dass dieses eine Fenster nun verdunkelt war –, und es kümmerte mich auch nicht.
    Als die Türglocke über meiner Tür anschlug, war ich beinahe in meinem Stuhl eingeschlafen. Es war Oscar Rossoff, wie ich ohne Erstaunen feststellte, als ich die Tür öffnete, der sich den Schnee von seinen derben, stark eingefetteten Stiefeln stampfte. Er trug einen glänzenden schwarzen Bart, der wie ein Spitzbart geschnitten war. »Hallo, Si.« Von seiner Melone, die er in der Hand hielt, schüttelte er Wassertropfen ab. »Ich kam gerade vorbei und wollte mich bei Ihnen nur kurz aufwärmen, wenn es recht ist. Eine schöne Nacht, aber nicht einfach für Fußgänger.«
    »Kommen Sie rein, Oscar! Ich freue mich, Sie zu sehen.«
    Er trat ein, lächelte und knöpfte seinen langen, pelzbesetzten Mantel auf. Er reichte ihn mir, rieb kräftig seine Hände und freute sich über die Wärme des Zimmers. Er trug einen schwarzen Cutaway mit Seidenrevers, schwarz-weiß karierte Hosen und um seinen Eckenkragen eine schwarze Ascot-Krawatte. Wir setzten uns, und Oscar öffnete seinen Cut, während er sich niederließ. Über seiner Weste hing eine schwere Uhrkette, an der schmückendes kleines Beiwerk aus Gold- und Elfenbein hing.
    »Ich werde erst einmal ein ordentliches Feuer machen, Oscar. Oder wollen Sie zuerst einen Drink? Oder Kaffee, wenn Ihnen das lieber ist. Haben Sie bereits zu Abend gegessen?« Ich freute mich Gesellschaft zu haben und war plötzlich sehr aufgeräumter Stimmung.
    »Nein, ich kann nicht lange bleiben, Si; nur einen Moment. Machen Sie sich also meinetwegen keine Umstände. Nur einen Drink, ja, ich hätte furchtbar gern einen Whiskey. Das wäre fein.« Wieder rieb er seine Hände und warf einen Blick zum Fenster. »Welch eine Nacht!«
    Ich servierte den Whiskey in kleinen geschliffenen Gläsern, wir prosteten uns zu und kosteten ihn dann. »Wunderbar«, sagte Oscar und lehnte sich bequem zurück; gedankenverloren begann er mit einem münzartigen goldenen Zierrat von seiner Uhrkette zu spielen. »Schön, hier mit einem Glas Whiskey zu sitzen, bis der schreckliche Sturm nachgelassen hat.«
    Ich nickte. »Ja, ich bin froh, dass Sie gekommen sind. Ich war gerade am Einschlafen.«
    »Das fällt nicht schwer in einer Nacht wie dieser.« Er nippte an seinem Whiskey und ließ seine Finger mit der kleinen Scheibe an der Uhrkette spielen. Ich betrachtete ihren matten Schimmer im Gaslicht. »Nichts kann entspannender sein; von draußen kommt kein Lärm herein und hier drinnen ist es so warm und friedlich.« Ich nickte und wollte etwas darauf antworten, Oscar aber schüttelte langsam den Kopf und lächelte. »Bemühen Sie sich nicht, Si, ich brauche keine Unterhaltung. Es ist

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