Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
ausgeruht, voller Tatendrang und Energie, ein wenig zu ausgeruht, um ins Bett zu gehen. Und so beschloss ich, einen Spaziergang zu machen. Es schneite noch immer, große weiche Flocken. Der Wind hatte nachgelassen, ich war zu lange drinnen gewesen, und ich wollte hinaus, hinaus in den Schnee und die frische kalte Luft atmen. Ich holte mir meinen Mantel aus dem Wandschrank, zog die Stiefel an und setzte meine runde Pelzkappe aus schwarzem Lammfell auf.
Dann stieg ich die Treppe des Gebäudes hinunter, froh, niemandem zu begegnen; ich wollte mich nicht unterhalten, und wenn ich jemanden auf den Stufen gehört hätte, dann hätte ich, nehme ich an, so lange gewartet, bis er vorbei gewesen wäre. Unten angekommen, verließ ich das Haus und blickte mich rasch um, sah aber keine Menschenseele. Ich wandte mich zum Central Park, der gerade gegenüberlag. Es war eine schöne, eine wunderbare Nacht, und es war eiskalt. Gelegentlich setzten sich Schneeflocken auf meine Wimpern und ließen die Straßenlaternen vor mir verschwimmen, deren Licht im Schneetreiben zu nebeligem Dunst wurde.
Die Straße war von den Bordsteinkanten kaum mehr zu unterscheiden, unberührt von Schritten oder anderen Spuren lag sie im Schnee vor mir. Ich überquerte sie und betrat den Park. Die Wege waren nicht mehr zu erkennen; ich machte einfach einen Bogen um die Bäume und Sträucher. Nur sehr mühsam kam ich voran, der Schnee lag nun zwanzig bis fünfundzwanzig Zentimeter hoch. Ich wollte mich nicht zu weit von den Lichtern der Straßenlaternen entfernen, um mich nicht zu verirren; ich drehte mich um und blickte zurück. Die Straßenlaternen waren klar zu erkennen, in ihrem Licht sah ich die Abdrücke meiner Schritte, die aber bald zugeschneit sein würden; ich wusste, dass ich nach nur wenigen Minuten nicht mehr zurückfinden würde, wenn ich weiterging.
Trotzdem setzte ich meinen Weg fort, stapfte schwer durch den nassen Schnee, genoss die Anstrengung und freute mich über die glitzernde Nacht und mein Alleinsein. Hinter mir hörte ich auf einmal fernes, rhythmisches Schellengeläut, das mit jedem Ton lauter wurde; wieder drehte ich mich um und blickte zur Straße zurück. Einen Augenblick lang stand ich nur da und lauschte nur, und dann, zwischen den Baum- und Zweigsilhouetten, in der Mitte der erleuchteten Straße, erblickte ich es – das einzige Gefährt, das in einer solchen Nacht unterwegs sein konnte: ein leichter, offener Schlitten, der von einem mageren Pferd gezogen wurde, das leicht und leise durch den Schnee trabte. Der Schlitten hatte kein Verdeck; sie saßen unter einer Decke eng aneinandergeschmiegt, im fallenden Schnee: ein Mann und eine Frau, die leise klingelnd die wirbelnden Schneekegel der Laternen durchfuhren. Sie trugen Pelzkappen wie ich. Der Mann hielt in einer Hand die Zügel und die Peitsche. Die Frau lächelte, ihr Gesicht war leicht dem Schnee entgegengestreckt, und die einzigen Geräusche, die zu hören waren, waren die Glöckchen, das gedämpfte Aufschlagen der Hufe und das Knirschen der Schlittenkufen. Dann waren sie vorbei, der Schlitten entfernte sich, verlor sich im Schneetreiben, und der gleichmäßige Rhythmus der Töne wurde leiser. Sie waren schon beinahe verschwunden, als ich die Frau kurz auflachen hörte; ihre Stimme wurde vom Schnee verschluckt, sie klang weit entfernt und glücklich.
Ich war genug gelaufen; ich hatte nicht das Bedürfnis, weiter in den Park vorzudringen, und kehrte um. Die schmalen parallelen Linien des Schlittens waren in der Mitte des Central Park West noch zu erkennen, aber sie verschwanden zunehmend; meine eigenen Fußspuren waren bereits vollkommen zugeschneit. Ich ging die Treppe des Dakota hoch, nahm Kappe und Mantel ab, löschte die Gaslichter im Wohnzimmer und war bereit, ins Bett zu gehen. Ich trat zum Fenster, um einen letzten Blick nach draußen zu tun. Ich wollte die Schneeluft noch einmal atmen, öffnete eine der Türen und ging auf den Balkon hinaus. Unten auf der Straße, die ich überquert hatte, waren die Spuren des Schlittens und meiner Schritte bereits nicht mehr zu sehen; der Schnee lag wieder gleichmäßig und unberührt da. Einige Zeit starrte ich in den schwarz-weißen Park hinunter, dann blickte ich nach Norden. Alles, was ich durch den Schneeschleier erkennen konnte, war, kaum sichtbar, das Museum of Natural History, das einige Blocks entfernt lag; eine der Fensterreihen war erleuchtet. Dann kehrte ich in das Wohnzimmer zurück; ich hatte mich kaum ins Bett
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