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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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zum Dakota, Sie glücklicher Gauner. Ich fahre Sie hin.«

12
    Als ich diesmal, mit einer Reisetasche in der Hand, aus dem Dakota trat, wusste ich sofort Bescheid. Ich wandte mich nach links zum Central Park gerade über der Straße; dort konnte ich nicht den geringsten Unterschied erkennen – aber ich wusste es einfach. Als einen Augenblick später ein von zwei Pferden gezogener Wagen mit Heuballen die Kreuzung vor mir überquerte, war ich deshalb überhaupt nicht überrascht.
    Da kam mir plötzlich ein Gedanke, und so überquerte ich an der Ecke nicht die Straße, die in den Park führte, sondern wandte mich nach Norden. Ich erinnerte mich an die unglaublich große freie Fläche, auf die ich vor einigen Nächten vom Balkon meines Apartments geblickt hatte: die dunkle Stelle, die ich zwischen dem Dakota und dem fünf Häuserblocks entfernten Museum of Natural History gesehen hatte. Nun wollte ich sie bei Tageslicht in Augenschein nehmen. Dreißig Sekunden später war es so weit; ich blieb stehen, starrte darauf und war überrascht, dann begann ich zu lachen.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – jedenfalls nicht das –, und noch immer lächelnd schüttelte ich den Kopf und holte aus meiner Reisetasche einen kleinen Skizzenblock, während ich meinen Weg fortsetzte. Ich warf eine grobe, aber doch detailgetreue und exakte Skizze darauf, die ich später vollenden würde. Hier ist sie. Etwa zehn Meter vom Gehweg entfernt, gegenüber dem Dakota, südlich der Ecke 74th und Central Park West, hatte ich genau diese Ansicht vor mir; lediglich den Bäumen habe ich einige Blätter hinzugefügt, damit sie besser zu erkennen sind. Diese Leute waren Farmer – richtige Farmer –, die Getreide anbauten und Tiere besaßen; sie lebten in Hütten und Verschlägen, die sie sich offensichtlich selbst gezimmert hatten.
    Hier sind sie – die Farmer, die neben dem eleganten Dakota ihrer Arbeit nachgehen; die Kinder spielen, und die Tiere suchen dort, wo der Schnee ein wenig weggetaut ist, nach Nahrung.

    Ich konnte es kaum fassen. Als ich mit der Skizze fertig war, ging ich ein Stück weiter in Richtung Museum – jetzt, bei Tageslicht, konnte ich erkennen, dass es aus einem einzigen Gebäude bestand – und starrte ungläubig auf den fremdartigen und erstaunlichen Anblick, den mir die Gehöfte bis hin zum Hudson boten. Und erstaunlicherweise waren die Straßen alle schon angelegt; ein Netzwerk gerader Straßen, die sich Block für Block auf gleicher Höhe befanden, während das Land dazwischen tiefer lag. In diesen rechteckigen blockgroßen Niederungen lagen Hunderte von Morgen Ackerland. Von der Straße aus konnte ich unter der dünnen Schneeschicht die regelmäßigen Formen der alten Felder und Beete erkennen. Auf einer dieser kleinen Farmen bearbeiteten Leute die nasse Erde mit Harken; warum, weiß ich nicht. Natürlich zeichnete ich auch diese Szene.

    Das hier links auf der Zeichnung ist die 75th Street, im Hintergrund ist die Hochbahn der 9th Avenue zu sehen. Während ich zeichnete, hörte ich das Muhen der Kühe, das Blöken der Schafe, hörte Schweine grunzen, Gänse schnattern und gleichzeitig das ferne, mir so vertraute und unzeitgemäße Klappern der Hochbahn. Dann ging ich weiter, durchquerte den Park zur Hochbahn der 3rd Avenue, dann Downtown zum Gramercy Park.
    Gramercy Park neunzehn war ein Haus, das ich bereits kannte. Es existiert noch immer, jetzt, im späten zwanzigsten Jahrhundert, manchmal war ich an ihm und den anderen schönen Häusern, die diesen kleinen Park umgeben, vorbeigekommen. Soweit ich mich erinnern konnte, sieht es heute noch genauso aus: ein einfaches, dreistöckiges Haus aus braunem Sandstein mit weißen Fensterrahmen, einer kleinen Treppe mit frisch geschrubbten steinernen Stufen und einem schwarzen gusseisernen Geländer. In der Ecke eines Fensters im ersten Stock befand sich ein kleines blau-weißes Schild mit der Aufschrift Unterkunft und Verpflegung.
    Ich stand auf dem Gehsteig, hielt meine Reisetasche in der Hand, blickte zu dem Haus hoch und fühlte mich wie jemand, der auf einem Sprungbrett steht, das höher war und weiter führte, als alles, was er bislang gewagt hatte. Ich sollte etwas tun, das weit mehr war, als einige Worte mit Fremden zu wechseln und dann weiterzugehen. Ich sollte, wenngleich vorsichtig und behutsam, am Leben dieser Zeit teilnehmen. Und so betrachtete ich äußerst nervös und neugierig das Schild, fand aber nicht den Mut, den nächsten Schritt zu

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