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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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vertraut war, in fast unerreichbarer Ferne lag.
    Eine Stunde lang, vielleicht etwas weniger, schlief ich. Dann weckten mich Stimmen, das Geräusch sich öffnender und schließender Türen und Schritte im Flur waren zu hören. Das Zimmer war nun dunkel, doch die hohen Rechtecke der Fenster am Fußende meines Bettes wurden durch den Neuschnee draußen erhellt. Mir fiel wieder ein, wo ich war, und ich schwang mich aus dem Bett, um einen Blick hinauszuwerfen.
    Die Straßenlampen, die den Platz umgaben, brannten; in ihrem Lichtschein glitzerte der Schnee. Zu meiner Rechten, an einer Ecke des Platzes, wurde eine Kutschentür zugeschlagen. Als ich mich dorthin wandte, sah ich das glänzende Geschirr von zwei schlanken grauen Pferden. Dann hielt die Kutsche auf meine Richtung zu, die Seitentüren funkelten schwarz im Licht der Seitenlampen. Die hohen dünnen Räder hinterließen schmale Spuren, die Kutsche glitt in den Lichtkegel einer Laterne, der glitzernd im schwarzen Lack und in den Fensterscheiben zerstiebte. Durch mein Fenster hörte ich das schwache Klirren des Zaumzeugs hindurch und das gedämpfte Klappern der Hufe auf dem Schnee. Die Kutsche fuhr einen Bogen, und ich betrachtete die geduckte Gestalt des Kutschers, der hoch oben eingemummt in eine Decke auf dem Bock kauerte. Pferde, Fahrer und Kutsche fuhren unter meinem Fenster vorbei; ich sah auf die grauen Pferderücken hinab, auf den schimmernden Seidenhut des Kutschers und das Schwarz des Kutschendachs. Noch einmal durchquerten Pferde und Kutsche einen gelben Lichtkegel, ihr Schatten fiel schwach und unscheinbar auf den neuen Schnee. Dann wurde er schärfer, fast blauschwarz, eilte der Kutsche voraus, wurde länger und löste sich auf. Im ovalen Rückfenster erblickte ich nun zwei Köpfe, einen männlichen unter einem hohen Hut, und das zu einem Knoten geflochtene Haar einer Frau. Der Mann wandte sich der Frau zu, sagte irgendetwas – ich konnte es daran erkennen, dass sein Bart sich auf und ab bewegte –, dann bog die Kutsche in eine Straße. Ihre Seiten leuchteten noch einmal auf, die Pferde verschwanden aus meinem Blickfeld und dann war auch die Kutsche verschwunden, nur ihre dünnen Spuren waren noch zu sehen. Und mich überwältigte von neuem das Hochgefühl, hier zu sein, zu dieser Zeit, in dieser Stadt. Und dann zog ich mich vom Fenster zurück, legte meinen Rock ab, goss Wasser aus dem Krug in die Schüssel, die auf der Kommode stand, und erfrischte mich. Ich schlüpfte in ein frisches Hemd, band eine Krawatte um, kämmte mir das Haar und ging rasch zur Tür, in die Diele, zu den anderen Hausbewohnern.
    Ein dünner junger Mann in Hemdsärmeln, der eine flache Schale mit Wasser vor sich hertrug, kam mir in der Diele entgegen. Er hatte dunkles, gescheiteltes Haar und einen braunen Fu-Manchu-Schnurrbart. Als er mich erblickte, grinste er. »Sie sind der neue Gast?« Er blieb stehen. »Ich kann Ihnen nicht die Hand geben«, lächelnd wies er mit dem Kinn auf die Schale in seinen Händen, »aber erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Ich bin Felix Grier. Heute ist mein Geburtstag; ich bin eben einundzwanzig geworden.«
    Ich gratulierte ihm, nannte ihm meinen Namen, und er bestand darauf, dass ich ihn in sein Zimmer begleitete, um die neue Kamera zu begutachten, die ihm seine Eltern geschenkt hatten. Sie war gestern angekommen, und mit dem Blitzlichtstativ, das er mir zeigte – ein Stativ mit einer horizontalen Gasleitung, in die für zwölf Flammen Löcher vorgesehen waren, dahinter ein Reflektor –, hatte er von jedem in diesem Haus eine Aufnahme gemacht und sogar einige der Räume bei Tageslicht fotografiert. Er entwickelte seine Filme selbst und machte auch Abzüge davon; eine ganze Menge von ihnen war wie Wäsche zum Trocknen auf eine Leine gehängt. Die Abzüge hatten alle möglichen Formen – Rechtecke, Kreise, Ovale –, die Arbeit hatte ihm offensichtlich großen Spaß gemacht. Ich besah mir seine Kamera, ein schweres Ding, das sicher sieben oder acht Pfund wog. Poliertes Holz, Glas, Messing und rotes Leder, einfach wunderschön. Ich sagte es ihm und setzte hinzu, dass ich ebenfalls ein Kameraenthusiast sei, worauf er mir anbot, sie mir zu leihen; ich würde darauf gerne zurückkommen, antwortete ich. Dann musste ich für ihn sitzen, und er machte von mir eine Aufnahme – mit kürzerer Belichtungszeit, als ich vermutet hatte, nur einige Sekunden; er versprach mir eine ganze Serie davon. Ich wollte sie damals nicht unbedingt haben, später

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