Zelot
finden sind. Sie haben einen Tipp bekommen von einem der Zwölf, von Judas Iskariot, der ihren Aufenthaltsort kennt und Jesus jederzeit identifizieren kann. Aber Jesus und seine Jünger werden sich nicht einfach so gefangen nehmen lassen. Einer zieht sein Schwert, und in einem kurzen Handgemenge wird ein Diener des Hohepriesters verletzt. Widerstand ist allerdings zwecklos, die Jünger sehen sich gezwungen, ihren Lehrer im Stich zu lassen und in die Nacht hinaus zu fliehen, während Jesus festgenommen, gefesselt und zurück in die Stadt geschleppt wird, wo seine Ankläger auf ihn warten.
Sie bringen ihn in den Hof des Hohepriesters Kajaphas, wo die obersten Priester, die Schriftgelehrten und die Ältesten – der ganze Sanhedrin – versammelt sind. Dort verhören sie ihn zu seinen Drohungen gegen den Tempel, wobei sie seine eigenen Worte gegen ihn verwenden: «Er hat gesagt: Ich kann den Tempel Gottes niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen.»
Das ist eine schwere Anschuldigung. Der Tempel ist die wichtigste bürgerschaftliche und religiöse Institution der Juden. Er ist die einzige Quelle des jüdischen Kultes und das bedeutendste Symbol der römischen Hegemonie über Judäa. Schon die geringste Bedrohung des Tempels erregt sofort die Aufmerksamkeit der priesterlichen und römischen Machthaber. Als ein paar Jahre zuvor zwei zelotische Rabbis, Judas, Sohn des Sepphoräus, und Matthias, Sohn des Margalus, mit ihren Schülern den Plan fassten, den goldenen Adler zu entfernen, den Herodes der Große über dem Haupttor des Tempels hatte anbringen lassen, wurden beide Rabbis und 40 ihrer Schüler zusammengetrieben und bei lebendigem Leib verbrannt.
Dennoch weigert sich Jesus, auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu antworten, wahrscheinlich, weil es einfach keine Antwort darauf gibt. Schließlich hat er den Tempel von Jerusalem mehrfach öffentlich bedroht. «Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen.» (Mk 13 , 2 ) Er ist erst seit ein paar Tagen in Jerusalem, doch schon in dieser kurzen Zeit hat er einen Krawall im Heidenvorhof verursacht und damit die finanziellen Transaktionen des Tempels gestört. Er hat das kostspielige Blut- und Fleischopfer, das der Tempel fordert, durch seine Gratis-Heilungen und Exorzismen ersetzt. Drei Jahre lang hat er gegen die Tempelpriesterschaft gewütet, ihren Vorrang und ihre Macht in Frage gestellt. Er hat die Schriftgelehrten und Ältesten als «Schlangenbrut» bezeichnet und versprochen, dass das Reich Gottes die ganze Priesterkaste hinwegfegen werde. Sein ganzes Wirken beruht auf der Zerstörung der bisherigen Ordnung und dem Machtverlust jedes einzelnen Mannes, der jetzt über ihn zu Gericht sitzt. Was gibt es da noch zu sagen?
Bei Tagesanbruch wird Jesus wieder gefesselt und durch die dicken Steinmauern der Burg Antonia eskortiert, um vor Pontius Pilatus zu erscheinen. Als Statthalter hat Pilatus vor allem die Aufgabe, für den Kaiser die Ordnung in Jerusalem zu wahren. Wie die Historiker wissen, war Pilatus kein Freund langer Prozesse. In seinen zehn Jahren als Statthalter von Jerusalem schickte er mehrere tausend Menschen ans Kreuz, mit einem einfachen Strich seines Schreibrohrs auf einem Blatt Papyrus. Es gibt keine Anhörung, keine Fragen, nicht die Notwendigkeit einer Verteidigung. Die Vorstellung, dass Pilatus sich auch nur in einem Raum mit Jesus aufhielt, ganz zu schweigen davon, dass er ihm einen «Prozess» gewährte, übersteigt die Phantasie. Entweder ist die Bedrohung, die Jesus für die Stabilität Jerusalems darstellt, so groß, dass er einer von nur einer Handvoll Juden ist, die je die Chance bekamen, sich vor Pilatus zu den Vorwürfen zu äußern, oder aber der sogenannte Prozess vor Pilatus ist eine Erfindung.
Es gibt Gründe, Letzteres anzunehmen. Die Szene hat eindeutig etwas Theatralisches an sich. Sie ist der Abschluss des Wirkens Jesu, das Ende einer Reise, die drei Jahre zuvor am Ufer des Jordan begonnen hat. Im Markus-Evangelium spricht Jesus nach seiner Befragung durch Pilatus nur noch ein einziges Mal – als er sich vor Schmerzen am Kreuz windet. «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mk 15 , 34 )
In Markus’ Schilderung der Geschichte geschieht zwischen Jesu Prozess vor Pilatus und seinem Tod am Kreuz etwas so Unglaubliches, so ganz offensichtlich Erfundenes, dass es Zweifel an der ganzen Episode, die zur Kreuzigung führt, aufkommen lässt. Pilatus, der Jesus befragt und in allen
Weitere Kostenlose Bücher